Ein phantastisches Wochenende in Alkmaar
In Oldenburg geht es los, zu fünft fahren wir mit dem Auto in Richtung Niederlande. Das Wetter könnte besser nicht sein und so werden wir uns an allen drei Tagen Anfang Oktober 2024 über herrlichen Sonnenschein freuen, können unsere Jacken in der Unterkunft lassen und einen Regenschirm hatte ich eh nicht eingepackt. Eine Pause legen wir auf dem Abschlussdeich ein. Dieser 32 Kilometer lange Damm zwischen den Provinzen Noordholland und Friesland riegelt die ehemalige Zuiderzee gegenüber der Nordsee ab. Am frühen Nachmittag ist Alkmaar erreicht und nach einigen Versuchen haben wir auch das Auto geparkt und machen uns auf zur privaten Ferienwohnung. Der Vermieter ist erstaunt, dass er fünf Erwachsene unterzubringen hat, er hatte mit zwei Kindern gerechnet, dennoch bleiben wir und wohnen nunmehr im absoluten Zentrum der Stadt.
Nun also hinein in den Trubel. Nachdem wir eine Gracht überquert haben, stehen wir bereits auf dem Waagplein und vor dem mächtigen Waage-Gebäude, dem Waaggebouw. Dieses aus dem 14. Jahrhundert stammende Gebäude war früher ein Heiligengeisthaus und beherbergte ein Hospital für arme Reisende, Pilger und Kranke und wurde später zur Waage umgebaut. An den Fassaden sind mehrere weise Sprüche zu lesen. Heute befinden sich das Fremdenverkehrsamt und das Käsemuseum in diesem Blickfang im Herzen der Stadt. Auf dem Waagplein findet in der Zeit von März bis September an jedem Freitagmorgen der Käsemarkt statt. Wir sind baff erstaunt über den Rummel hier, fast alle Stühle und Tische der Außengastronomie sind besetzt, doch wir finden noch ein freies Plätzchen und stärken uns. Ich habe den Eindruck in Italien oder Spanien zu sein und nicht in den Niederlanden.
Gemütlich schlendern wir durch diese wunderbare Stadt und steuern das „Haus mit Kugel“ an. Während der Belagerung durch die Spanier im Jahre 1573 lag die Stadt unter schwerem Kanonenbeschuss. Angeblich flog eine Kugel in dieses Haus eines Korbflechters, zertrümmerte das Inventar, aber verletzte keinen der sieben Anwesenden. So erinnert diese Kugel an das kleine Wunder. Erstaunlicherweise ist dieses Gebäude unten schmaler als oben, denn ein kleinerer Grundriss bedeutet weniger Steuern zu zahlen.
Auf der anderen Seite der Gracht erkennen wir das „Haus mit den Bäckerschaufeln“. Dieses aus dem Jahre 1609 stammende Gebäude soll einen der schönsten Treppengiebel Alkmaars haben. Früher diente das Haus als Getreidelager, im Erdgeschoss waren Feinbäcker untergebracht.
Natürlich möchten wir uns auch die versteckten Höfe oder Hofjes nicht entgehen lassen, sind sie doch berühmt für diese Stadt. Acht versteckte Kleinode oder Oasen der Ruhe gibt es in Alkmaar zu entdecken. Wir stehen vor dem Wildemanshof, dürfen ihn aber nicht betreten, da die Öffnungszeit abgelaufen ist. Dennoch sind wir vom Gesehenen sehr beeindruckt. Reeder Wildeman verfügte in seinem Testament, dass mit seinem Geld ein Hofje für ältere Damen gebaut wurde, sie sollten ehrlich, friedliebend, ledig oder verwitwet sein. Über dem Eingang erinnert eine Steinfigur an den Spender.
Beim Weitergehen erkennen wir ein Denkmal für Tante Truus. Während der Zeit des Nationalsozialismus rettete dieser Schutzengel 10.000 Kindern das Leben. Geertruida Wijsmuller-Meijer, so ihr richtiger Name, brachte mit zahlreichen Kindertransporten jüdische und nicht arische Kinder nach Großbritannien.
Das Rathaus, Stadhuis, ist weithin sichtbar. Ende des 19. Jahrhunderts durch Brand zerstört, wurde es von 1912 bis 1914 restauriert, ein Teil der Stadtbeamten arbeitet noch in diesem Gebäude. Unter der Treppe befinden sich zwei Fenster, links saßen die zum Tode Verurteilten, rechts die anderen Gefangenen. Zweimal im Jahr kam der Henker und verrichtete seine Arbeit vor vielen Schaulustigen und mit Glockengeläut. Neben dem Rathaus sehen wir den Moriaanshof mit der eindrucksvollen Fassade, die den „guten Richter“ darstellen soll.
Im letzten Licht der Nachmittagssonne erreichen wir die Große Sankt Laurens Kirche. Ursprünglich im 17. Jahrhundert erstellt, wurde der Umbau in den jetzigen Zustand 1520 abgeschlossen. Heute wird das Haus für Symposien, Messen, Ausstellungen etc. genutzt. Eine Innenbesichtigung ist leider nicht möglich, gern hätte ich mir die berühmte Schnitgerorgel angesehen.
Zum Abendessen gehen wir ins benachbarte „de Buren“, ergattern glücklicherweise einen gerade frei werdenden Tisch und speisen vorzüglich. Dann noch ein kleiner Spaziergang durchs Zentrum und wieder staunen wir über das Treiben auf der Straße und in bzw. vor den Lokalen. Auch dem Rotlichtbezirk statten wir einen Besuch ab, dann wird es Zeit fürs Bett.
Susanne und Jürgen schlafen im großen Schlafzimmer, wo sich auch Bad und Dusche befinden, Deborah und Daniel kuscheln im Kinderdoppelbett, ich verziehe mich ins Zimmer, wo die Tochter des Vermieters gelegentlich schläft. Doch an diese Nacht werde ich noch lange denken. Es ist Freitagnacht, Horden von feiernden und grölenden Menschen ziehen durch das Zentrum, irgendwann schnappe ich mein Bettzeug und flüchte auf den Flur, hier ist es geringfügig leiser. Gegen 4:30 Uhr schaue ich zum letzten Mal leicht fluchend auf die Uhr – doch damit auch genug der Kritik.
Alkmaar hat uns allen total gefallen und soll, wenn man der Broschüre folgt, schönste Stadt Nordhollands sein, wenn nicht sogar schönste Stadt des Landes. Historisch und modern, 400 denkmalgeschützte Gebäude, kleine Läden, die man in Deutschland nicht mehr vorfindet, gemütliche Straßencafés, malerische Grachten, Zugbrücken und urige Höfe, das alles ist eine Reise wert. Zur Stadt in der Provinz Noord-Holland gehört auch Oudorp im Norden und die Hälfte des Dorfes Koedijk. Die Einwohnerzahl lag am 1. Januar 2024 bei 112.311.
Am nächsten Morgen schlendern wir gemütlich über den Wochenmarkt, der doch sehr vom Käse dominiert wird, und sehen uns den Hof von Sonoy mit dem markanten achteckigen Turm an. Aber auch dem „küssenden Käsemädchen“ schenken wir unsere Aufmerksamkeit. Dann geht es aufs Schiff und eine 45-minütige Fahrt durch die Grachten beginnt. Zunächst fahren wir unter der ältesten Brücke der Stadt, der Steinbrücke, entlang, weitere 21 Brücken werden folgen. Manchmal müssen wir uns bücken und den Kopf einziehen, um diese Reise unverletzt zu überstehen. Vorbei geht es am Fischmarkt, am Steuerturm und an verschiedenen Kirchen, die teilweise zu Wohnungen umgewidmet wurden. Kurze Zeit fahren wir auf dem Kanal, der Amsterdam mit Den Helder verbindet. Ein schönes Haus mit zwei Giebeln dient jetzt ausgedienten Kapitänen als Heimat. Bevor wir die Sankt Laurens Kirche erreichen, sehen wir noch die Mühle von Piet aus dem Jahre 1769. Früher sollen zehn Mühlen auf den Wällen gestanden haben. Zum Schluss erkennen wir noch eine Statue namens „die Familie“, ein Geschenk Königin Julianas anlässlich des Jubiläums 700 Jahre Stadtrechte.
Ein Besuch des Beatles-Museums darf natürlich nicht fehlen. Hier findet der Freund der Fab Four alles, was sein Herz begehrt, Platten, Bilder, Videos, Infos, Instrumente, auch kann über den Zebrastreifen, der das Cover von „Abbey Road“ ziert, geschritten werden. Im hinteren Trakt ist das Museum von Elvis untergebracht. In der Nähe findet eine Ruderveranstaltung statt. Hier gönne ich mir meine beliebte Fricandel Speciaal.
Abends lassen wir uns einfach treiben, essen und trinken eine Kleinigkeit, auch heute tobt das Leben in Alkmaar, doch dank der edlen Genever, die ich mit Jürgen draußen vor unserem Haus trinke, schlafe ich den Schlaf der Gerechten – und die Ohrstöpsel, die Deborah vorsorglich gekauft hat, habe ich total vergessen.
Nun ist der letzte Tag angebrochen, auch heute strahlt die Sonnen vom Himmel und so machen wir noch einen Abstecher an die Nordsee, nämlich nach Egmond aan Zee. Unterwegs begegnet uns ein Fahrrad aus Holz. Hier lassen wir uns den Wind durch die Haare pusten und wandern am Wasser entlang. An einem Fischstand besorge ich mein heutiges Abendessen und dann machen wir uns auf den Weg.
Ein wunderbares ausgefülltes spannendes Wochenende neigt sich dem Ende zu.
Ein Video über diese Reise kann bei YouTube unter
https://youtu.be/RWzjxmXmymA
angesehen werden, viel Spaß dabei!