Island im Jahrhundertsommer
Dieses Mal soll es nordwärts gehen, nach Island. Elisabeth und ich besteigen am 05. August 1990 in Hamburg die Boeing 737 der Eagle Air und 3 ¼ Stunden später sind wir bereits in Kevlavik. 2.166 Kilometer liegen hinter uns.
Ein Stadtbus bringt uns ins Zentrum von Reykjavik und wir belegen ein Zimmer in der Pension von Mrs. Ragna Björnsson in der Asvallagata. Das Doppelzimmer kostet 3.300 Kronen (IKR). 100 IKR entsprechen DM 2,77 beim Tausch in Island oder DM 3,50 beim Tausch in Deutschland.
Gleich beim ersten Gang durch die isländische Hauptstadt wundern wir uns über die vielen Wellblechhäuser und über die durch Erdbeben hervorgerufenen Risse in den Privatgebäuden und Kirchen.
Die Lebenshaltung, so erfahren wir sogleich, ist teurer als in Deutschland. Jetzt im August sind die Tage noch recht lang, die Sonne geht erst um 22.15 Uhr unter. Auch tagsüber fahren die Autos mit Abblendlicht. Beim Duschen ist ein permanenter Schwefelgeruch wahrnehmbar.
In Reykjavik leben knapp 100.000 Einwohner. Es geht sehr gemütlich zu. Fast alle Haushalte nutzen geothermische Energie. Durch ein Rohrleitungssystem werden die einzelnen Häuser mit heißem Wasser, das aus Thermalquellen gefördert wird, versorgt. Einen rauchenden Schornstein sieht man deshalb selten.
Wir besichtigen die futuristisch wirkende Hallgrimskirche mit dem Leifur-Eriksson-Denkmal, die Hateigskirche mit den gewaltigen Erdbebenrissen und die katholische Landakotskirche.
Den Einkaufspassagen statten wir einen Besuch ab, dem Parlamentsgebäude aus Bruchstein, aber auch den weniger markanten Plätzen. Lange Zeit verbringen wir am Tjörnin, dem See im Zentrum der Stadt. Im Hafen beobachten wir die Schiffer beim Entladen und sehen einer Robbe im Hafenbecken zu.
Abends halten wir uns in rustikalen Kneipen und gemütlichen Restaurants auf, vor der Getränkenachbestellung ist ein heimlicher Blick ins Portemonnaie ratsam, denn Alkohol ist hier durchaus ein Luxusgut. Biere werden in verschiedenen Stärken verkauft, wir nehmen mit der mittleren Güte vorlieb, denn es ist nicht ganz so teuer.
Für die weitere Inselerkundung mieten wir uns einen Peugeot 205 junior, jetzt im nachhinein würde ich ein Geländefahrzeug mit Vierradantrieb nehmen, da man doch erheblich flexibler und nicht nur auf befestigte Straßen angewiesen ist.
Wir verlassen Reykjavik in nordöstlicher Richtung und fahren zum größten natürlichen See des Landes, zum Thingvallavatn. Der Weg ist voller Lavagestein, ab und zu begegnen uns ein paar braune Schafe. Es ist, wie auch in den nächsten Tagen, vormittags trübe und bedeckt, am Nachmittag hat die Sonne sich durchgesetzt und strahlt vom blauen Himmel auf uns herab. So haben wir täglich für Stunden ein Superwetter, die Isländer sprechen von einem Jahrhundertsommer.
Ein spärliches Grün bedeckt die Erde, beherrschende Farbe aber ist das Braun der Lava.
Auf den Wiesen, die sich später anschließen, grasen einige Pferde.
Den Geysir, er ist tatsächlich Namensgeber für alle Springquellen, erleben wir nicht, wohl aber den Stokkur. Er explodiert alle fünf bis 10 Minuten und schießt seine gewaltige Wasserfontäne über 5 m hoch hinaus. Es ist ein prächtiges Schauspiel. Kleinere Dampfquellen befinden sich auch noch in der Gegend. Von weitem denkt man, es handele sich um den Rauch mehrerer Lagerfeuer, genau wie in einem Indianerfilm. Hier treffen wir zum ersten Mal auf andere Touristen.
Kurze Zeit später und einige Kilometer weiter sind wir bereits am nächsten herrlichen Naturschauspiel, am Gullfoss, dem Goldenen Wasserfall. Der Gletscherfluss Hvitá stürzt mit Getöse in einen Canon, es ist ein wunderschöner Anblick und man kommt sich selbst ganz klein und unbedeutend vor. Auch hier sind wir fast die einzigen Gäste.
In der Ferne ist einer der größten Gletscher Islands zu sehen, der 1350 m hohe Langjökull. Sein Gipfelschnee leuchtet in der Mittagssonne.
Unser nächstes Ziel ist Thingvellir (Thingfeld) am schon genannten Thingvallavatn gelegen. Hier erleben wir den nächsten Wasserfall, nämlich den Öxarafoss oder Axtfall, der Axtfluss fällt in die Allmännerschlucht. Die Gegend ist herrlich, dazu noch die warme Nachmittagssonne, so schön hatte ich mir Island nicht vorgestellt.
Auf dem Weg zum Hvalfjördur, dem Walfjord, kommen wir noch am Glymur, dem höchsten Wasserfall, vorbei. Dann fahren wir eine ganze Weile am Sokkolsdalur entlang. Der Fluss windet sich durch eine Schlucht. Das Lavagestein ist in diesem Gebiet mit weichem Moos überwachsen.
Gegen Abend erreichen wir den Gilsfjord und im kleinen Örtchen Garpsdalur, endlich mal wieder ein paar Häuser, füllen wir unseren Proviant auf. Jetzt noch ein paar Kilometer und wir sind am Ziel. Einige Meter vom Wasser entfernt bauen wir unser Zelt auf, keine Menschenseele ist weit und breit zu sehen. Der ganze Fjord und die Umgebung gehören uns.
Am Lagerfeuer lassen wir den ereignisreichen Tag mit ein paar Dosen Bier ausklingen.
Am nächsten Morgen, nachdem wir uns am Ufer gewaschen haben, fahren wir weiter westwärts von einem Fjord zum nächsten, jetzt ist es wieder trübe und verhangen. Aber das tut unserer Stimmung keinen Abbruch, denn das Panorama, das sich uns bietet, ist unbeschreiblich schön und atemberaubend.
Am Steingrimsfjord entlang orientieren wir uns dann wieder südwärts und erreichen am frühen Nachmittag den Kollafjord. Hier schlagen wir unser Zelt auf und spazieren am Wasser entlang. Einige Vögel sind wohl nicht an Menschen gewöhnt und machen einen ohrenbetäubenden Lärm, ein paar aggressive Uferschwalben fliegen auf mich zu und bewegen mich zur Umkehr. Unser Abendbrot fällt sehr karg aus, wir hätten doch etwas großzügiger einkaufen sollen. Jetzt, wo es uns bewusst wird, ist weit und breit kein Geschäft zu sehen.
Man darf in den Orten, die auf der Landkarte angezeigt werden, nicht zu viel erwarten. Zumeist bestehen die Dörfer aus einem Kaufmannsladen, einer Tankstelle, der Post und fünf Häusern.
Tags darauf werden wir durch das Geschrei von Seehunden geweckt. Nach einer kurzen Morgentoilette am Wasser geht es weiter. Kurz vor Mittag kommen wir an einer Snackbar vorbei und stürzen "halb verhungert" hinein. Selten hat mir ein Hamburger so gut geschmeckt wie hier.
In Reykhólar oder Reykholt besichtigen wir die Thermalquellen und eine alte Holzkirche. Etwa 15 km weiter kommt man an den zum Teil unterirdischen Lavawasserfällen Hraunfossar vorbei.
Vom nicht weit entfernten Freizeitgebiet Húsafell, wo wir uns eine weitere schöne Holzkirche ansehen, starten wir zu einer Tour in die Hallmundahraun. Wir marschieren über ein großes Lavafeld hinweg und sehen uns die dort größte Höhle, die Surtshellir, an. Man kann weit hineingehen und sich die unterschiedlichen Tropfgebilde anschauen.
Wieder draußen, meine ich, in einer Mondlandschaft zu sein, braunes Gestein soweit das Auge reicht.
Dem hiesigen Thermalbad statten wir einen Besuch ab und baden eine Weile. Das Wasser ist auf verschiedene Bassins mit unterschiedlichen Temperaturen verteilt. Isländer haben eine Flasche Schnaps dabei.
Die nächste Nacht verbringen wir romantisch in einer kleinen Hütte auf einer Pferdefarm.
Bei der Weiterfahrt am folgenden Tag ist der Langjokullgletscher wieder in Sichtweite. Es geht den Kaldidalur-Weg entlang und die nächsten 40 Kilometer sehen wir nichts als Steinwüste.
Mittags erreichen wir Islands Südküste und orientieren uns weiter in östlicher Richtung. Die Wolken haben sich verzogen und wir genießen wieder richtiges Urlaubswetter.
Beeindruckt haben mich die grasbedeckten und in die Landschaft eingewebten Hütten und Häuser, manchmal kaum in dem dicken Grün zu erkennen.
Dann erheben sich vor uns in der Ferne der über 1600 m hohe Gletscher Eyjafjallajökull und der 1450 m hohe Myrdalsjökull, es ist ein zauberhaftes Bild.
Kurze Zeit später erleben wir den nächsten Wasserfall, den Seljalandfoss. Die Natur ist hier üppiger, auf den saftigen Wiesen grasen Kühe und Pferde. Diese Abkehr vom ewigen Braun tut den Augen richtig gut.
Und dann weisen auch schon am Straßenrand parkende Autos auf eine weitere Sehenswürdigkeit hin, wir sind am Skógarfoss, dem wohl bekanntesten Wasserfall im Süden der Insel. Aus einer Höhe von 60 Metern fällt das kühle Nass herunter. In der Umgebung befinden sich noch weitere Fälle.
In Vik, einer Hafenstadt ohne Hafen mit etwa 350 Einwohnern, beenden wir die heutige Tagesetappe und bauen unser Zelt auf dem hiesigen Campingplatz auf. Hier mangelt es an nichts, ein Kiosk und ein Restaurant befinden sich auf dem Gelände und wir lassen es gemütlich angehen. Einige Robben tummeln sich im Wasser.
Ganz in der Nähe befindet sich das Kap Dyrhólaey, ein etwa 120 m hohes Felsplateau, auf dem viele Papageientaucher oder Lundis, wie sie hier genannt werden, ihr Nest haben.
Wir machen eine ausgiebige Wanderung und beobachten die Vögel aus nächster Nähe. Sie gehören sicher nicht zu den eleganten Fliegern, besonders tolpatschig gebärden sie sich, wenn sie vom Wasser aus starten.
Unser Weg führt uns dann zurück, wir fahren bis Grindavik an der Südwestseite Islands. Längere Zeit verweilen wir am Hafen und schauen den Fischern beim Entladen ihres Fanges zu. In der Blauen Lagune haben wir wieder einmal Gelegenheit, ein heißes Bad zu nehmen.
In einem Restaurant bestellen wir uns, auch wenn es wie Frevel klingt, einen Papageientaucher zum Abendbrot, er hat mir mittelmäßig geschmeckt.
An einem der nächsten Tage begeben wir uns mit der Fähre zu den Westmänner-Inseln, den Vestmannaeyjar. Surtsey, die jüngste Insel des Archipels, entstand erst 1963 durch Eruption und viele Wissenschaftler begleiten den Wachstumsprozess. Für Touristen ist ein Aufenthalt nicht möglich.
Die Überfahrt dauert 3 ½ Stunden, Raucher und Nichtraucher werden getrennt untergebracht. Wir legen auf Heimaey, der einzigen bewohnten Insel, an und suchen uns eine Unterkunft. Dann nehmen wir an einer Videoveranstaltung teil und informieren uns über die in noch gar nicht so langer Vergangenheit liegende Katastrophe.
Im Januar 1973 brach der Vulkan Helgafell aus und verschüttete einen Teil der Insel. Aber die Einwohner hatten noch Glück im Unglück, denn aufgrund schlechten Wetters waren die Fischer zu Hause geblieben und konnten somit die Bevölkerung mit ihren Schiffen evakuieren. Noch jetzt, bei unserem Besuch, kann man die schrecklichen Ausmaße des Ausbruchs erkennen. Die Lava und Asche hat sich tief in den Ort hineingeschoben und etliche Häuser begraben oder zerquetscht. Manchmal ragt noch ein Schornstein aus der Masse. Glücklicherweise hat der Ausbruch kein Menschenleben gefordert.
Nach fünf Tagen waren 1,5 Mio. Kubikmeter Lava und Asche geflossen, für die Löschung wurden 6 Mio. Kubikmeter Seewasser verbraucht. Die Lavamasse bedeckt eine Fläche von 3,2 Quadratkilometern, durch den Ausbruch wurde Heimaey um 2,2 Quadratkilometer vergrößert.
Wir besichtigen die Insel, wandern an der Küste entlang, besteigen auch den Vulkan und können in den Krater hineinschauen.
Als wir unseren Peugeot zurückgeben, zeigt der Tachometer 1.782 km an.
Zum Schluss der Reise verbringen wir noch einige Tage in Reykjavik und besuchen eine Diskothek, hören uns eine einheimische Band an und genießen die tollen Sonnenuntergänge am Tjörnin.
Auf dem Rückflug öffnet sich die Wolkendecke und gestattet uns einen Blick auf die Färöer-Inseln unter uns.