Madeira
Ein ehemaliger Geschäftsfreund schenkte mir zum Renteneinstieg einen Reiseführer über Madeira. Er hatte gesehen, dass ich diese Insel noch nie besucht hatte. Jetzt, mit einigen Jahren Abstand, will ich es doch wissen und buche bei tuifly eine Pauschalreise. Möglich wäre auch ein Flug mit Condor, aber zu dem Zeitpunkt war die Gesellschaft noch nicht von LOT übernommen und mir zu gefährlich. Die Erinnerung an die ausgefallene Reise mit Germania ist noch allgegenwärtig.
Gut vier Stunden dauert der Flug von Hannover-Langenhagen bis Funchal, warme 20 Grad erwarten mich bei der Ankunft. Schöne Azulejos und ein Korbschlitten im Ausgangsbereich des Flughafens demonstrieren eindrücklich, dass wir jetzt auf Madeira angekommen sind. Die nächsten Nächte werde ich im Hotel „Monte Carlo“ verbringen, gelegen auf einer Anhöhe, aber doch noch in der Nähe der Marina oder des Zentrums. Ein Taxi habe ich jedenfalls während der gesamten Zeit nicht in Anspruch genommen. Von der Hotelterrasse hat man eine phantastische Aussicht auf die Stadt, den Hafen und das Meer.
Nun also hinein ins Vergnügen. Heute ist Faschingsdienstag und der gesamte Bezirk um die Flaniermeile Avenida Arriaga strotzt vor Menschenmassen. Eine Blaskapelle trägt zur Stimmung bei. Ich schaue mir dann die Hauptkirche, die Catedral Sé, an. Mit dem Bau des spätgotischen Gotteshauses wurde 1500 begonnen, ihr Glockenturm ist an den vier Ecken mit zinnenförmigen vielfarbigen Kacheln geschmückt, beeindruckend ist aber auch die Mudéjar-Decke im Inneren. Nun geht es zur Marina mit Blick auf den Hafen und den Atlantik. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff dümpelt im Wasser. Unterschiedliche Muster dekorieren die steinernen Gehwege.
Auf Empfehlung des Rezeptionisten wähle ich zum Abendessen das Restaurant „Londres“. Neugierig auf die typische Inselspeise „Espada preta“ wähle ich natürlich den schwarzen Degenfisch. Traditionell wird er im Teigmantel gebacken und mit gebackenen Bananen und Maracujasauce serviert. Er schmeckt mir ausgezeichnet, allerdings wird mir ein Reiseführer ein paar Tage später erzählen, dass man diesen Fisch unbedingt gegrillt und ohne Gewürzzutaten essen soll. Im Fischangebot dieses Hauses wären dann noch Thunfisch, Bacalhau, also Stockfisch, und Tintenfisch. Der portugiesische Hauswein ist ein hervorragender Begleiter. Zum Schluss bestelle ich noch ein Glas Madeira-Wein, ein mit Branntwein angereicherter Likörwein, der aber auch als Aperitif getrunken werden kann.
Am nächsten Morgen, nach einem eher kärglichen Hotelfrühstück, geht es wieder in Richtung Marina und dann bin ich auch schon auf dem Mercado dos Lavradores. In der Markthalle duftet es nach Blumen und Obst, aber auch nach Gewürzen. Viele Obsthändler locken mich heran und geben mir unterschiedliche Maracujasorten zum Kosten. Am besten hat mir eine Probe von der Fruto Delicioso (köstliches Fensterblatt) geschmeckt, das cremig-weiße Fruchtfleisch entwickelt einen Geschmack ähnlich wie ein Gemisch aus Ananas und Banane. Gerne bestelle ich ein Stück dieser optisch einem Maiskolben ähnelnden Obstsorte, aber als ich den Preis erfahre, 11,- Euro, lege ich es schnell wieder zurück. Der oben erwähnte Reiseführer erklärt uns später, dass jeder Stand monatlich 4.000,- Euro kostet, deshalb die Preise so hoch sind und man eigentlich nur freitags oder sonnabends zum Markt gehen sollte, wenn die einheimischen Bauern ihre selbst geernteten Waren wesentlich preiswerter anbieten.
Einige Verkäufer/innen haben ihre Tracht angelegt. Nun steige ich die Treppe hinab, besuche die Fischabteilung und schaue zu, wie die Fischhändler den schwarzen Degenfisch abspritzen und säubern. Ein entsprechender Geruch liegt in der Luft, hier kann alles, was an Madeiras Küsten gefangen wird, erworben werden. Ein Haimaul steht dekorativ auf einem Verkaufstresen. Auf der Dachterrasse des Marktgebäudes setze ich mich in die Sonne und bestelle ein Glas Obstsaft.
Vom Mercado sind es nur ein paar Schritte bis zur Talstation der Teleférico, der Seilbahn, die uns in den 550 Meter über Funchal liegenden Ort Monte bringt. Eine lange Schlange wartet auf die nächste Gondel und die Wartezeit beträgt bestimmt über eine halbe Stunde. Dann endlich setzt sie sich in Bewegung und erlaubt in den nächsten 15 Minuten wunderschöne Panoramaaussichten auf die Hauptstadt und die Umgebung. Dieser Ort mit seinen Villen, Herrenhäusern und üppigen Gärten ist ein absolutes Muss für jeden Besucher. Oben angekommen verweile ich erst ein paar Momente und labe mich an der unbegreiflich schönen Aussicht. Hier erkenne ich wieder, dass viele Straßen durch Tunnel führen, auf der Fahrt vom Flughafen war es mir schon aufgefallen.
Mein nächstes Ziel ist schnell erreicht, nämlich der Monte Palace Tropical Garden, ein verwunschener Kunst- und Tropengarten. Das Thermometer hat mittlerweile die 20 Grad-Marke überschritten und bei herrlichem Sonnenschein streife ich durch den Park. Was gibt es hier nicht alles zu sehen: Lorbeerbäume, Zykaden, also Palmenfarne, Azulejos, Buddhafiguren, Azaleen, Orchideen, Karpfenteiche, Wasserfälle und am Schwanenteich die angeblich größte auf einer Töpferscheibe gefertigte Vase. Im Museum schaue ich mir die Mineraliensammlung und Skulpturen aus Simbabwe an. Nun freue ich mich auf ein kühles Getränk auf dem Terrassencafé – leider ist kein Platz mehr frei.
Der botanische Garten, der jardim botánico, ist ebenfalls mit einer Seilbahn zu erreichen. Unsere Fahrt führt über die tiefe Schlucht Ribeira de João Gomes und bietet wieder spektakuläre Ausblicke. Im rund acht Hektar großen Park können neben einheimischen auch tropische und subtropische Pflanzen angeschaut werden. Und hier habe ich anschließend Glück und finde einen angenehmen Platz zum Verschnaufen. Auf der Rückfahrt nach Monte unterhalte ich mich mit einem Paar aus Schweden, das schon die ganze Welt bereist hat.
Nun dauert es nicht mehr lange bis zum Tageshöhepunkt: die Korbschlittenfahrt von Monte in den zwei Kilometer entfernten Ort Livramento. Aber der Spaß kostet und soll weltweit einzigartig sein. Zwei Männer, traditionell in weißer Kleidung und mit Strohhut, an den Füßen Schuhe mit Spezialsohlen, lenken und bremsen das Fahrzeug mit seinen Holzkufen. Schnee ist nicht erforderlich. An den Kreuzungen herrscht Vorfahrt, Autos werden von Mitarbeitern angehalten. Angeblich hat ein britischer Kaufmann in der Mitte des 19. Jahrhunderts diese Beförderung ins Leben gerufen. Heutzutage brauchen die Männer den Schlitten aber nicht mehr hochzuziehen, das erledigt ein LKW. In Livramento angekommen wird wenig diskret um Trinkgeld gebeten, auch kann ein Foto von dieser einzigartigen Fahrt erworben werden.
Den restlichen Weg gehe ich zu Fuß zurück, nicht ahnend, dass es so steil werden würde. Erschöpft erreiche ich Funchal und erhole mich in einer Cafeteria von den nicht geplanten Strapazen. Meine Waden werden mich noch an den nächsten beiden Tagen an diesen Abstieg erinnern.
Abends im „Londres“ begrüßt Kellnerin Fatima mich schon mit Handschlag. Heute probiere ich das einheimische Coral-Bier und bestelle dann die andere Spezialität der Insel: Espetada, Rindfleisch, das mit Knoblauch, Pfeffer, Lorbeer und Meersalz gewürzt und früher auf einem Lorbeerstecken, heutzutage auf einem gusseisernen Spieß, über offenem Feuer gebrutzelt wird. Bei dieser Bestellung werde ich an einen Vierpersonentisch gesetzt, weil hier Platz für das Spießtragegestell ist. Dazu wird Bolo do Caco gereicht, ein Fladenbrot aus gekochten Süßkartoffeln. Eine Karaffe Rotwein rundet das Menü ab. Vorweg werden, wie auch tags zuvor, eingelegte Bohnen serviert. Später verweile ich noch an der Avenida Arriaga und schaue dem Karnevaltreiben zu. Zwar ist heute Aschermittwoch, doch davon ist hier nichts zu spüren. Spärlich bekleidete hübsche Tänzerinnen und mehrere Bands sorgen für eine ausgelassene Stimmung.
Zurück im „Monte Carlo“ bleibe ich bis Mitternacht auf der Hotelterrasse und probiere einen poncha, ein hier begehrtes Getränk aus Zitronensaft, Honig und Zuckerrohrschnaps. Ein sehr guter Akkordeonspieler unterhält uns mit wunderschönen Musettestücken.
In Deutschland wäre heute der Fasching vorbei, auf Madeira nicht. Etliche Schulklassen, Kindergarten- und Kitagruppen versammeln sich verkleidet bei der Kirche und feiern ausgiebig. An einer Haltestelle warte ich auf den Bus 36 oder 37, der mich zu den Palheiro-Gärten bringen wird. Diese auf etwa 600 Metern liegende Anlage soll eine der schönsten und abwechslungsreichen Madeiras sein. Der britische Weinhändler Blandy ließ den Garten Ende des 19. Jahrhunderts anlegen. Mir bleiben einige Stunden Zeit, um den Garten der Dame, den versunkenen Garten oder das Kamelienspalier anzusehen. Eine kleine Kapelle lädt zur Andacht ein, ein Café zur Erholung.
Nachmittags wandere ich an der Marina entlang zum „CR7-Museum“, das ich aber nur von außen besichtige. Cristiano Ronaldo ist bekanntlich ein Sohn der Insel und in Funchal geboren, seine überlebensgroße Statue wurde vor dem Haupteingang postiert. Am Palácio de São Lourenço vorbei gehe ich zum Hotel zurück. Dieser wuchtige Palast an der Avenida do Mar diente früher als Schutz vor Piraten. Heute esse ich in einer kleinen Bar in Hotelnähe zu Abend und probiere auch hier ein Glas poncha.
Natürlich darf eine Levada-Wanderung bei keinem Madeirabesuch fehlen. Eine Halbtagestour hatte ich gestern in einem kleinen Kiosk an der Marina gebucht. Abgeholt werde ich um 8:45 Uhr beim museu das cruzes. Zu sechst fahren wir nach Estreito da Camãra de Lobos und betreten die auch als rota do vinho, also Weinstraße, bezeichnete Levada do norte. In den nächsten zweieinhalb Stunden werden wir etwa sechs Kilometer an der Levada entlanggehen. Bei einer Levada handelt es sich um einen künstlichen Wasserlauf, der angelegt wurde, um niederschlagsärmere landwirtschaftliche Flächen mit Wasser zu versorgen. Unser schon zweimal erwähnter Begleiter informiert uns über die Blumen und Pflanzen, die wir unterwegs antreffen, Gewächse aus denen Valium und Rizinus hergestellt werden, Fenchel, Lorbeerbäume, Zuckerrohr und natürlich Weinreben. Teilweise wird auf mühsam errichteten Terrassen angebaut. Unser Weg ist relativ einfach, manchmal sollte man allerdings schwindelfrei sein und deshalb geht einer aus der Gruppe zurück zum Auto. Ich eile den anderen voraus, da zwei Damen aus dem englischen Sprachgebiet sich permanent, lautstark und pausenlos unterhalten. Am Ende des Spaziergangs bietet ein Bauer reife Guaven an.
In Funchal zurück gehe ich zum museu das cruzes und verweile im schönen archäologischen Park. Auf der Terrasse des Cafés halte ich dann teatime. Abends gehe ich ins Zentrum und esse in einem Restaurant in der Fußgängerzone. Einmal noch gibt es Degenfisch, dazu einen vinho verde. Erstaunt sehe ich, dass viele Menschen einen Mundschutz umgebunden haben, dabei wird das Thema Corona-Virus doch erst in ein paar Wochen in aller Munde sein.
Nun ist der letzte komplette Tag angebrochen. Wiederum werde ich am nahen Museum von einem Minibus abgeholt, weil das Rangieren beim „Monte Carlo“ etwas kompliziert ist. Das Ticket für die heutige Tour über den westlichen Teil der Insel hatte ich am Vortag bei einem Büro im Zentrum erworben. Danilo, unser Fahrer, informiert uns dreisprachig, am meisten Kontakt habe ich zu einem Paar aus Norwegen. Auch heute besteht unsere Gruppe aus sechs Personen.
In Camãra de Lobos halten wir nach kurzer Fahrt am Hafen. Pittoreske Fischerboote dümpeln im Wasser. Bei einem kleinen Rundgang wundere ich mich über eine Skulptur von Winston Churchill. Er soll sich hier, so lese ich, zum Jahreswechsel 1949/1950 aufgehalten und gemalt haben. Im Ort leben etwa 18.000 Einwohner. Unser nächstes Ziel heißt Cabo Girão. Am „Kap der Umkehr“ sieht man eine spektakuläre 580 Meter hohe Steilküste und hat eine atemberaubende Aussicht auf die Umgebung, auch das 13 Kilometer entfernte Funchal ist gut zu erkennen. Mutige Mitreisende betreten den Skywalk und schauen dann durch eine Glasplatte hinunter, ich habe es auch getan, aber die Durchsicht ist etwas verschwommen. Es soll sich hier um Europas höchste Meeresklippe handeln.
Nun fahren wir weiter bis Ribeira Brava und haben auf einem Parkplatz eine gute Aussicht auf den Ort, den Strand, das Meer und auf ein paar Fangstellen für Doraden. Auch der nahe Ort Ponta do Sol ist gut in Sichtweite. Dann verlassen wir die Küstenstraße und fahren nord- und landeinwärts auf das 1.500 Meter hohe Plateau Paúl da Serra. Hier befinden wir uns in einer wilden kilometerweiten Landschaft mit Ginsterblüten. Positiv finde ich auch, dass Danilo nun mal den Mund hält, denn die permanente dreisprachige Beschallung hat mich doch etwas genervt. Vorbei geht es an Zuckerrohrfeldern, Kühe und Rinder weiden an der Straße, natürlich nicht angebunden oder eingezäunt.
In Porto Moniz an der Nordspitze legen wir eine Mittagspause ein, ich bestelle mir eine Tortilla. Dieser schmucke Ort, 1.700 Einwohner, ist berühmt wegen seiner Vulkanbecken, wegen der natürlichen Badepools. Leider bin ich nicht gut vorbereitet und habe keine Badehose dabei. Schade, in einem dieser Lava-Schwimmbecken hätte ich gern mal ein Bad genommen.
Direkt am Atlantik fahren wir weiter über Seixal bis São Vicente und halten an, um Wasserfälle oder eine spannende Küstenlandschaft zu besichtigen. Heimwärts geht es dann über den 1.007 Meter hohen Encumeada-Pass und durch den mit 3,1 Kilometer zweitlängsten Tunnel der Insel. Gegen 16.00 Uhr werde ich in Hotelnähe abgesetzt und bin froh, dass ich mich zu dieser Rundfahrt entschlossen habe. Ursprünglich wollte ich mir ein Auto mieten, aber da die Parkmöglichkeiten beim “Monte Carlo“ begrenzt sind, habe ich davon abgesehen und diese Tour gewählt.
Auch heute begrüßt mich Fatima lächelnd mit Handschlag. Zum Abschluss wähle ich Tintenfisch und als Dessert einen traumhaften Maracuja-Pudding. Nun noch ein paar Momente auf der Hotelterrasse und eine interessante Reise neigt sich dem Ende zu. Gut, dass ich mich für diesen Zeitraum entschlossen habe, denn vier Wochen später hätte mir Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Ein paar Fakten: Die Insel ist maximal 57 Kilometer lang und 22 Kilometer breit, ihre Einwohnerzahl beträgt 230.000. In der Hauptstadt Funchal, also in der Stadt an der Fenchelbucht, leben etwa 118.000 Menschen. Die Insel wird auch gern wegen des beständig wehenden Nordostwindes, der das ganze Jahr für frühlingshafte Temperaturen sorgt und Basis für die botanische Vielfalt ist, als „Blumeninsel“, „Grüne Perle im Atlantik“ oder „Insel des ewigen Frühlings“ bezeichnet. Den Lorbeerwald Madeiras erklärte die UNESCO 1999 zum Welterbe. Aufgrund der angenehmen klimatischen Bedingungen wird die Insel auch gern zur gesundheitlichen Wiederherstellung besucht. Bekanntestes Beispiel dürfte, wie wir seit Jahrzehnten in der Weihnachtszeit im Fernsehen verfolgen können, Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn sein, besser bekannt unter dem Namen Kaiserin Sisi.
Ein Video über diese Reise kann bei YouTube unter
https://www.youtube.com/watch?v=hDhh26BIpGY
angesehen werden.