Von Pub zu Pub
Die Zeit zwischen Bremen und Manchester vergeht im wahrsten Sinne des Wortes wie im Fluge. Dank Priority Boarding können wir uns gute Plätze in der Boing 737 aussuchen und zu viert dem Skatspiel frönen.
Im Flughafen Manchester tauschen wir Geld, Kurs etwa 1:1,25, und nehmen unser Auto, eine Vauxhall-Limousine, in Empfang. Jetzt sind es nur noch ein paar Meilen bis Chester, unserem ersten Halt. Das zentral gelegene Hotel „Premium Inn“ ist schnell gefunden.
Chester, rd. 77.000 Einwohner, gefällt mir. Die Stadt vermittelt einen gemütlichen Eindruck und die typischen pittoresken Fachwerkshäuser verleihen dem Ort einen sehr angenehmen Charme. Hervorzuheben ist die sehenswerte Town Hall. Seit Jahrhunderten gilt Chester als bedeutender Handelsplatz für Käse der Region. Wir spazieren durch das Zentrum, essen in einem gemütlichen Pub zu Abend und bestellen das ein oder andere Pint. Die gastronomische Szene lässt keine Wünsche offen und so haben wir keine Probleme, die Zeit bis zur Sperrstunde sinnvoll zu nutzen.
Nach einem opulenten englischen Frühstück fahren wir anderntags westwärts und erreichen Wales nach relativ kurzer Zeit. Die Straßenschilder sind nun zweisprachig und alle Hinweise werden in Walisisch und Englisch vermittelt. Kurz vor der Einmündung auf eine Hauptstraße sind häufig die Worte „ARAF“ und „SLOW“ in dicken Lettern auf den Asphalt geschrieben.
Mir scheint, die Natur ist hier schon etwas weiter fortgeschritten als in Deutschland, besonders die gelb blühenden Osterglocken am Straßenrand scheinen Boten des nahen Frühlings zu sein.
Wales gehört zum Vereinigten Königreich, ist kleinster Teil von Großbritannien und zählt knapp 3 Mio. Einwohner.
Wir fahren auf relativ kleinen Landstraßen und so kann es schon mal vorkommen, dass der nächste Ort 30 Minuten auf sich warten lässt. Die Verkehrsführung verläuft sehr kurvig und manchmal verschätzen wir uns bei der Routenplanung in der Zeit. Aber es bringt Spaß, durch die hügelige walisische Landschaft zu fahren und die herbe Natur auf sich einwirken zu lassen. Auf den weitläufigen Weiden grasen die Schafe. Sie heben sich angenehm, farbtupfergleich, vom satten Grün der Umgebung ab. Die ersten Osterlämmer sind schon geboren.
Es ist gar nicht so einfach, die Ortsnamen auszusprechen, mir scheint, dass viele Dörfer mit „Ll“ beginnen. In Llenoog legen wir eine kurze Zigarettenpause ein, bevor wir in Dolgellau eine Runde ausspielen. Und endlich erreichen wir in Aberdovey auch den Atlantik. Die Saison hat noch nicht begonnen, die Außenbestuhlung ist noch nicht aufgebaut und die Plätze am Meer sind noch unbesetzt. Wir fahren weiter bis Machynllet und essen dort zu Mittag.
Auf der Weiterfahrt sehen wir noch einige Male die raue und schroffe Steilküstenlandschaft, orientieren uns dann aber ostwärts ins Landesinnere. Nach einer Rast in Aberavon erreichen wir abends Port Talbot und sind endlich am Ziel. Das „Best Western Aberavon Beach Hotel“ wird uns die nächsten Nächte beherbergen. Man braucht lediglich die Straße zu überqueren und hat dann einen kilometerweiten Strand vor sich. Viele Franzosen sind ebenfalls in unserem Hotel abgestiegen, findet doch morgen das Rugby-Länderspiel Wales gegen Frankreich statt. Diesem Sportereignis haben wir es zu verdanken, dass in Cardiff sämtliche Übernachtungsmöglichkeiten seit Wochen ausverkauft sind.
Am nächsten Morgen trenne ich mich von meinen Freunden, fahre mit dem Taxi zum Bahnhof und warte auf den Zug nach Salisbury, denn jetzt steht Stonehenge auf dem Plan. Gegen 9.00 Uhr füllt sich der Bahnsteig mit Rugbyfans, alle mit einem roten Trikot bekleidet. Das kann ja heiter werden!
Alle Reisenden stürzen sich beim Einlaufen auf die Waggons und zwängen sich hinein, an einen Sitzplatz ist nicht mehr zu denken. Der Lokomotivführer will mich zurückschieben, lässt mich dann aber einsteigen, weil ich sonst den Anschlusszug nach Salisbury verpassen würde. Später höre ich, dass Cardiff an diesem Tag rund 250.000 Besucher zählt, die entweder das Spiel im Millennium Stadium direkt erlebt oder sich zum Public Viewing auf die Pubs in der Stadt verteilt haben. Die Einwohnerzahl an sich beträgt rund. 325.000.
Endlich erreichen wir die walisische Hauptstadt und schälen uns aus dem Abteil. Ich erkundige mich nach Möglichkeiten der Weiterfahrt und so geht es bis Newport und von dort nach kurzer Wartezeit direkt nach Salisbury. Jetzt sind auch genügend Sitzplätze vorhanden und ich freue mich auf die Fahrt.
In der Bahnhofshalle werde ich schon von einem Mitarbeiter auf den Direktbus nach Stonehenge angesprochen, kaufe ein Ticket und besteige den Doppeldecker.
Nach kurzer Wartezeit fahren wir los und werden mittels Lautsprecher über die englische Sehenswürdigkeit informiert. Es sind nur ein paar Kilometer.
In Stonehenge angekommen nehmen wir die Audioguides entgegen und wandern in langen Schlangen langsam um die Steine herum. Dieser bekannteste Steinkreis Europas wurde in mehreren Perioden errichtet. Es heißt, dass die ersten Baumaßnahmen um 2.800 v. Chr., also in der Jungsteinzeit, durchgeführt wurden und sich die gesamte Bauzeit auf etwa 2.000 Jahre erstreckt hat. Einige Steine sind nach der Tagundnachtgleiche ausgerichtet und so vermutet man, dass die Anlage ein früheres Observatorium darstellt. Es handelt sich um eine Grabenanlage, die von einer aus mehreren Steinkreisen bestehenden Megalithstruktur umgeben wird. Viele Sagen und Legenden ranken sich um die seit 1986 zum UNESCO Weltkulturerbe gehörende Kultstätte. Angesichts der umfangreichen Interpretationen von Stonehenge empfehle ich ein Nachlesen in den Reiseführern oder in der Fachliteratur.
Mit dem Bus geht es dann weiter nach Old Sarum, wo Reste der ältesten Siedlung der Umgebung, auf einem Hügel gelegen, besichtigt werden können. Umrisse der alten Burg und der Kathedrale sind noch zu erkennen. Man hat einen guten Blick auf Salisbury und auf eine Schweinefarm. Hier können sich die Sauen noch draußen im Matsch suhlen. An der Bushaltestelle treffe ich eine Japanerin, die seit Jahrzehnten in Bremen wohnt. Sie ist mit ihren asiatischen Gästen auf Europatour.
Später halte ich mich noch geraume Zeit in Salisbury auf, denn die Stadt gefällt mir. Der Dom scheint die markanteste Sehenswürdigkeit darzustellen, den Besuch des Gotteshauses hätte man in Verbindung mit Stonehenge und Old Sarum ebenfalls buchen können.
In Cardiff ist an diesem Abend der Teufel los, hunderte von Sportbegeisterten strömen mir auf dem Bahnhof entgegen. Wales hat das Six Nations Turnier gewonnen und Frankreich besiegt – und das merkt man. Ganze Straßenzüge sind abgesperrt, vor den Pubeingängen warten die Durstigen in Riesenschlangen auf Einlass, an einen ruhigen Platz in einem Restaurant ist gar nicht zu denken. Aus allen Lokalen dröhnt laute fetzige Musik. Es dauert eine Viertelstunde, bis ich in einem Pub das erste Glas Bier in der Hand habe. Zum Abendessen kaufe ich mir an einem ambulanten Stand Schweinefleisch im Brötchen.
Für das kleine Geschäft wurden mitten auf den Bürgersteigen transportable WCs aufgebaut, je drei Männer können sich auf beiden Seiten zeitgleich erleichtern. Polizisten lassen sich zusammen mit den Schlachtenbummlern auf ein Erinnerungsfoto bannen. Zahlreiche Besucher warten vor einem Geldautomaten, um sich mit dem nötigen Kleingeld für die lange Nacht einzudecken.
Eigentlich wollten meine Mitreisenden abends ebenfalls nach Cardiff kommen, aber sie hatten das Spiel der „Roten Drachen“ in der Nähe von Swansea im Fernsehen verfolgt und keiner fühlte sich mehr fahrtüchtig.
Die Heimfahrt nach Port Talbot ist ähnlich chaotisch wie die Herfahrt. In langen Schlangen warten wir vor und im Bahnhof auf den jeweils nächsten Zug und drängen dann wieder in die Abteile, die auch jetzt bis zum Bersten gefüllt sind. Kompliziert wird es, wenn Männer sich auf dem Weg zur Toilette an uns vorbeiquetschen. Einmal kommt es zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung, glücklicherweise marschieren dann beide Kampfhähne in getrennte Richtungen.
Auch die Lokale im Zentrum von Port Talbot sind bis auf den letzten Platz ausgebucht, schließlich lande ich in einem Chinarestaurant und kann nach kurzer Wartezeit meinen Tisch einnehmen und die Bestellung aufgeben. Hier scheine ich der einzige Gast zu sein, der Reis als Beilage gewählt hat, denn Pommes Frites rot/weiß scheinen hier bei den Walisern der Favorit zu sein.
Am nächsten Morgen treffe ich wieder auf meine Mitreisenden. Auch sie hatten einen spannenden Sonnabend verlebt, waren erst durch die Valleys der Umgebung gefahren und dann, wie beschrieben, zur sportlichen Erbauung in einem gemütlichen Pub gelandet. Wir machen einen längeren Strandspaziergang, genießen die frische Meeresluft, fahren dann mit Taxi zum Bahnhof und besteigen den Zug nach Cardiff.
Heute ist die Fahrt entspannter, auch die Hauptstadt zeigt sich von einer ganz anderen Seite. Von den Feierlichkeiten des Vortages ist nichts mehr zu sehen. Wir halten uns im Zentrum auf, besuchen einige Lokale, spielen Skat und verleben einen gemütlichen Sonntag. Das über 74.000 Zuschauer fassende Millennium Stadium ist stets im Fokus. Der Eintritt ins Cardiff Castle erscheint uns etwas hoch und so sehen wir uns nur die äußere Burganlage an. Geraume Zeit verweilen wir im Bute Park, der von der Festung und dem River Taff flankiert wird. Die Magnolien stehen kurz vor der Blüte. Später gehen wir noch zu weiteren imposanten Gebäuden, dem Gericht, dem Rathaus und dem Naturkundemuseum. Der letzte Zug bringt uns wieder nach Port Talbot zurück.
Nach wiederum opulentem Frühstück gehen wir ein letztes Mal an den Strand und fahren dann zurück nach Chester, natürlich unter Einhaltung der obligatorischen Erholungspausen.
Die Route führt uns über Llandybie, Llandovery, Llananno, Welshpool und Wrexham.
In Chester checken wir im schon bekannten Hotel ein und verbringen einen wunderschönen Abend im „Old Harkers Arms“. Der Pub ist, obwohl Montagabend, bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Stimmung ist gut und das Essen hervorragend, hier haben wir eine gute Wahl getroffen.
Am nächsten Tag fahren wir nach Manchester, geben unser Auto ab und checken ein.
James Brown heißt der Pilot, der uns sicher nach Hause fliegt – ohne if und aber!