Magisches Leuchten am Firmament
Luleå
Eigentlich wollten wir, Bettina und ich, mit der Bahn anreisen und Silvester in Kiruna feiern, doch dann entdeckten wir eine Flugreise von Hannover nach Schwedisch – Lappland und waren sogleich Feuer und Flamme. Per Telefon buchen wir bei andersweg Reisen, Köln, und werden kompetent bedient.
Unbarmherzig klingelt der Wecker am 27. Dezember 2024 zu nachtschlafender Zeit, raus aus den Federn und mit der Straßenbahn ab zum Hauptbahnhof. Wir fahren nach Hannover – Langenhagen, besteigen den restlos ausgebuchten Airbus und los geht es. Nach gut zweistündigem Flug landet der Flieger in Arvidsjaur, dieser Ort war mir bisher nicht bekannt.
„Jaur“ ist ein samisches Wort und bedeutet See. Hier werden wir von Annette in Empfang genommen, sie wird uns während dieser Fahrt als Reiseleiterin kompetent zur Seite stehen. Das Thermometer zeigt warme drei Grad an. Mit dem Bus geht es ins etwa 155 Kilometer entfernte Luleå. Es dunkelt bereits, zu dieser Zeit zeigt sich die Sonne von etwa 9:30 bis 13:30 Uhr. Annette informiert uns, dass in dieser Gegend viele Autofirmen ihre Fahrzeuge testen und hier auch der so bekannte „Elchtest“ stattfindet. Im zentral gelegenen „Elite Stadshotellet Luleå“ werden wir die nächsten sechs Nächte verbringen, die Fahrt vom Flughafen dauert rund zwei Stunden.
Nun sind wir also in der Hauptstadt der Provinz Norbotten angekommen, in der größten Stadt Schwedisch-Lapplands, dort, wo der Lule älv in den Bottnischen Meerbusen mündet. Luleå gilt als eine der modernsten Städte des Landes, hier findet man den nördlichsten 27-Loch-Golfplatz der Welt und das erste überdachte Einkaufszentrum der Welt, außerdem beherbergt sie eines der größten Rechenzentren, von Facebook gebaut und betrieben mit sauberer, erneuerbarer Energie. Rund 43.000 Einwohner zählt die Stadt, die auch als „Tor zu Schwedisch-Lappland“ bekannt ist, in der Nähe des größten Brackwasserarchipels der Welt mit 1.312 Inseln gelegen, von dichten Wäldern und vielen Seen umgeben. Eine große Rolle spielt die Hafenwirtschaft, denn von hier wird das in Kiruna geförderte Eisenerz verschifft.
Wir machen einen kleinen Erkundungsspaziergang, kaufen etwas ein, bezahlt wird ausschließlich mit Karte, und gehen dann zurück zum Abendessen im Hotel. Heute gibt es Wallenbergare, eine schwedische Spezialität aus Hackfleisch, mir ist es allerdings zu sahnig. Danach noch einen Absacker im „The Bishop´s Arms“, wo u. a. diverse Biersorten angeboten werden, und der erste Tag ist, fast, geschafft. Bevor ich mich ins Bett lege gehe ich noch mal ans Fenster und erkenne einen Lichtstrahl, sollte das schon das Nordlicht sein? Zusammen mit Bettina eile ich hinaus, aber wir müssen konstatieren: es ist nur ein künstlicher Lichtstrahl, schade!
Nach einem guten Frühstück geht es nordwärts, unser Bus ist mit Spikes ausgestattet und hat keine Probleme, auf den winterlichen Straßen voranzukommen. Etwa 167 Kilometer ist Jokkmokk, die Hauptstadt von Schwedisch-Lappland, von Luleå entfernt. Am Horizont quält sich die Sonne hervor, es ist ein herrliches Bild, wie sich ein kilometerlanger Lichtstreifen über den Schnee schmiegt. Bäume zu beiden Seiten der Straße, kein Wunder, denn, so Annette, 60 Prozent Schwedens besteht aus Wald. Hinweisschilder sind teils zweisprachig, andere warnen vor Elchen, aber wir habe keines dieser Tiere in freier Wildbahn gesehen, stattdessen einen toten Fuchs am Rande der Fahrbahn. Unser Fahrer macht unterwegs einen Abstecher und zeigt uns noch eine Kasernenanlage.
Während der Fahrt, aber auch abends an einem der nächsten Tage, klärt uns Annette, die einen wirklich guten Job macht, immer freundlich, hilfsbereit, kompetent und gut informiert, über die Situation der Samen oder Sami auf. So erfahren wir, dass
- von den 70. bis 100.000 Samen etwa 20.000 in Schweden leben
- obwohl die Begriffe „Lappland“ oder „Laponia“ geläufig sind, das Wort „Lappe“ als diskriminierend bezeichnet wird
- Samen Sumpfleute bedeutet
- Lappe sich aus der Bekleidung aus Lappen ableitet. ( Die Herkunft des Namens ist nicht ganz geklärt. Es gibt
mehrere Theorien, z.B.: Der schwed. Naturforscher Carl von Linné schrieb 1732 ,,Das Wort Lappe kommt von
der Kleidung, da ihre Kleider gewöhnlich aus Lappen bestehen.“
oder aus dem Finn. lappalainen: „Bewohner des Grenzgebiets“ )
- es zehn samische Sprachen und rund 50 Dialekte gibt
- samisch dem finnisch-ugrischen Sprachstamm entstammt
- sich die Samen ursprünglich mit Jagen und Sammeln beschäftigt haben, wichtigste Beute war das Rentier
- sie den Acker- und Bootsbau von den Norwegern gelernt haben
- es eine samische Universität in Norwegen gibt
- heute rund 10.000 aller Samen von der Rentierzucht leben und dass es in Schweden ca. 2.500 Familienbetriebe
gibt
- der Kreis in der Flagge der Sami die Schamanentrommel (Mond und Sonne) symbolisiert
- sich Sápmi, das Land der Samen, über vier Nationen ohne Grenzen erstreckt und Berg-, Wald-, Tundra- und
Moorgebiete umfasst
Annette empfiehlt uns dann zum Einstieg in die samische Kultur einen Film und ein Buch: „Das Mädchen aus dem Norden“ (Dies ist der Titel des Films: siehe - das maedchen aus dem norden trailer youtube) und „Das Leuchten der Rentiere“. Musikalisch untermalt wird der Vortrag mit Liedern oder Joiks von Mari Boine und Jon Henrik Fjällgren. Der Joik ist für das Volk der Samen eine einzigartige Form des kulturellen Ausdrucks. Diese Art von Lied kann zutiefst persönlicher oder spiritueller Natur sein und ist oft einem Menschen, einem Tier oder einer Landschaft als persönliche Signatur gewidmet.
Eine kurze Fotopause legen wir an einem Fluss ein und dann ist unser erstes heutiges Ziel erreicht: der nördliche Polarkreis. Ein Schild informiert in deutscher Sprache u. a.:
„Der Polarkreis ist die südlichste geographische Breite, wo die Mitternachtssonne bei der Sommersonnenwende sichtbar ist.
Seine Position wird durch die Neigung der Erdachse definiert, die sich unter Einwirkung der Sonne, des Mondes und der Planeten verändert.
Während 40.000 Jahren bewegt sich der Polarkreis nordwärts und südwärts innerhalb einer 180 Kilometer breiten Zone, außerdem bewegt er sich während 18,6 Jahren innerhalb einer 570 Meter breiten Zone.“
Polarkreise sind also die besonderen Breitenkreise der Erde 66º 33´ 55´´ (66,565º) nördlicher und südlicher Breite, auf denen die Sonne an den beiden Tagen der Sonnenwende nicht mehr auf- bzw. nicht mehr untergeht. Mit Wodka und Beerensaft stoßen wir auf dieses Erlebnis an, Tage später wird uns Annette ein Polarkreis - Zertifikat aushändigen. Nun sind es noch etwa 10 Kilometer bis Jokkmokk, übersetzt Bachkrümmung.
Dieser Ort ist bekannt für den jährlich im Februar stattfindenden samischen Wintermarkt. Wir halten beim Ajte Museum und haben genügend Zeit, uns mit der samischen Kultur und Lebensweise vertraut zu machen, natürlich auch mit der hier lebenden Tierwelt. Ajte ist das samische Wort für Vorratsschuppen, nun sind wir also im Hauptmuseum für samische Kultur in Schweden angekommen. So entdecken wir Sami im Umgang mit ihren Rentieren, können in eine Zeltkota schauen und uns zum Schluss am Souvenirshop bereichern. Auf der anderen Straßenseite des Museums kann eine Kirche besichtigt werden, heute leider nur von draußen. Als ich um 12:50 Uhr zum Bus zurückkehre erhebt sich ein wahrer Feuerball am Horizont und ich überlege, ob es Sonnenauf- oder -untergang ist – einfach einmalig, so etwas erlebt man selten. Bei der Weiterfahrt kommen wir noch an einer alten Holzkirche und an einem aus Lichtern hergestellten Elch vorbei. Es fällt auf, dass viele Häuser, obwohl Weihnachten vorbei ist, mit Lichterketten und anderen Leuchtkörpern geschmückt sind. Wahrscheinlich eine Antwort auf die lange Dunkelheit. Ein Mann mit Spark oder Tretschlitten führt seinen Hund aus. An den nächsten Tagen werden wir noch etliche dieser Fortbewegungshilfen sehen und auch selber mal versuchen.
Im letzten Licht der Nachmittagssonne erreichen wir die Rentierfarm. Hier erzählen uns die beiden Betreiber, Schwester und Bruder in samischer Kleidung, wie sie leben und berichten natürlich auch ausführlich über ihre Haustiere. Es ist ein sehr informativer Nachmittag und wir erfahren eine Menge. Rentiere haben eine gute Nase, sie können z. B. Flechten durch eine 70 Zentimeter dicke Schneeschicht riechen, was natürlich nicht möglich ist, wenn sich eine Eiskruste am Boden gebildet hat. In diesem Fall muss nachgefüttert werden. Sowohl männliche als auch weibliche Rens tragen Hörner. Unser Vorzeigebulle wurde kastriert, damit er sich ruhiger verhält. Die Bezeichnung Rentier stammt vom Altnordischen „hrein“ und bedeutet Hirsch. Helena berichtet uns, dass ein Mann von 300 Tieren leben kann, in der Kommune Jokkmokk leben um die 20.000 Rentiere. Ihr Bruder zeigt uns sein Messer, das er sogar als Hammer benutzen kann, beide haben bunte Schuhe aus Rentierfell an. Wenn die Hirten auf der Suche nach frischem Futter mit der Herde unterwegs sind, steht im Abstand von etwa 20 Kilometern eine Schutzhütte bereit. Nach diesem interessanten Vortrag werden wir in einer Zeltkota bei offenem Feuer mit Tee, selbst gebackenem Brot, Rentiersalami und köstlichem Rentierfleisch verwöhnt, einfach klasse! Hier hätte ich gerne Trinkgeld gegeben, leider habe ich nur einen großen Euroschein dabei und keine schwedischen Münzen. Für einen Euro erhält man derzeitig 11 Kronen (SEK).
Nun wieder hinein in den Bus und unserem nächsten Ziel entgegen. Erstaunt stelle ich fest, dass hier der Sprit günstiger als in Deutschland ist. Beim Storforsen, den größten Stromschnellen Nordeuropas, angekommen steige ich als erster aus und lande knietief im Schnee. Wir binden Spikes unter die Schuhe, zünden die Fackel an und los geht es. Permanent ist das Grollen der tosenden Wassermassen des 400 Kilometer langen Pite-Flusses zu vernehmen, leider nur akustisch, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Sofort ist es für mich klar: hierher komme ich im Sommer zurück. Dann wird es Zeit für die Heimfahrt, ein langer Tag neigt sich dem Ende zu, immerhin waren wir zehn Stunden unterwegs.
Nach dem Abendessen, Garnelen in Avocadosoße und Entrecote, gehe ich ins benachbarte „Taco“ und lasse diesen interessanten Tag mit ein paar Gläsern Bier ausklingen, ein Getränk kostet ungefähr 6,60 Euro. Das Thermometer zeigt minus 3 Grad an.
Nach dem Frühstück gehe ich anderntags ein wenig auf dem Eis spazieren und um 11:00 Uhr fährt unser Bus vor. Heute haben wir ein Geburtstagskind, was natürlich angemessen geehrt und mit einem Ständchen beglückwünscht wird. Mit reichlich Gebell begrüßt man uns an der Huskyfarm. Unruhig und erwartungsvoll scharren die Hunde mit den Pfoten, sie können es kaum erwarten. Einige Mitreisende leihen sich vor der Abfahrt feste Stiefel und einen Mantel. Und dann beginnt die Fahrt. Acht Hunde, die vom Musher ohne Zügel und Leine gelenkt werden, ziehen uns über Schnee und Eis, ein unbeschreibliches Vergnügen. Zusammen mit Bettina und Kathrin genieße ich diesen Moment, die Sonne spiegelt sich im Eis, was für ein prächtiges Bild. Hin und wieder legen wir eine Fotopause ein und die Hunde erfrischen sich am Schnee. Sie sind in Schweden geboren, ihre Eltern stammen jedoch aus Alaska. Schade, dass dieses lustvolle Abenteuer irgendwann beendet ist. Am Lagerfeuer bei einem kleinen Imbiss lassen wir dieses Erlebnis noch einmal Revue passieren.
In der Brändön Lodge stärken wir uns zunächst mit einer Fischsuppe bestehend aus Lachs und Krabben, dann geht es auf Schneeschuhen über Stock und Stein in die Dunkelheit hinein. Glücklicherweise haben einige Mitreisende eine Stirnlampe dabei, ansonsten ist nichts zu sehen. Ein Mann vor mir stürzt und wir helfen ihm wieder auf die Beine. Auch ich falle einmal hin, meine schöne Werdermütze bleibt in einem Baum hängen und hilfsbereite Hände helfen mir beim Aufstehen. Etwas erschöpft ziehe ich am Ziel angekommen die Schneeschuhe aus, einige spazieren noch über das Eis der Ostsee. Hier hätten wir auch einen Ausflug mit dem Motorschlitten, einen Skilanglauf oder eine Fahrt mit dem Fatbike buchen können.
Nach dem Abendessen, Lachssteak, informiert uns Annette, wie oben beschrieben, über das Leben und die Kultur der Samen. Anschließend gehe ich zum „Taco“, aber das Lokal hat schon geschlossen, also zurück zu „Bishop“. Hier bleibe ich bis 23:00 Uhr, dann ist Sperrstunde.
Den nächsten Morgen beginne ich mit einem Spaziergang auf der Eisbahn, die fast die gesamte Stadt umschließt. Um die Mittagszeit steige ich zusammen mit Bettina in einen öffentlichen Bus und fahre in die historische Altstadt Gammelstad, um den zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Ort bei Tageslicht zu erleben, die Reisegesellschaft folgt ein paar Stunden später. 33 SEK kostet die Fahrt. Leider zeigt sich das Wetter nicht von seiner besten Seite, ein heftiges Schneetreiben setzt ein und alle Cafés sind geschlossen. Wir schlendern umher und finden dann, endlich, einen Imbissbetrieb, wo wir etwas trinken können.
Das Wetter hat sich gebessert, ein riesiger Feuerball erstreckt sich am Himmel und wir sind ganz begeistert und ergriffen. 404 hübsche schneebedeckte Holzhäuser und eine imposante Kirche stimmen uns neugierig. Mittlerweile sind auch die anderen Reisenden angekommen und wir beginnen eine geführte Stadterkundung. So erfahren wir, dass Gammelstad vor 1.000 Jahren eine kleine Insel im Mündungsdelta des Lule älv war, die heutige Siedlung ist etwa 500 Jahre alt und ca. zehn Kilometer vom Zentrum entfernt. Wegen der Landhebung versandete der Hafen in Gammelstad und hatte nicht mehr genug Tiefgang, daraufhin wurde das „neue“ Luleå gegründet.
Mit dem Bau der Steinkirche wurde im 15. Jahrhundert begonnen. Ihre kostbare Ausstattung ist auf den ökonomischen Wohlstand, entstanden durch Handel mit Fellen und Lachs, zurückzuführen. Gern erinnere ich mich an den Flügelaltar und die eindrucksvolle Kanzel. Rund um die Nederluleå - Kirche mit dem separat stehenden Turm hat sich das Kirchendorf (kyrkstad) entwickelt. Schweden war und ist dünn besiedelt. Früher war der Kirchgang Pflicht, aber für die weitab wohnenden Bauern nur schwer zu realisieren. Deshalb baute man sich ein Häuschen, um hier nach der langen Anreise zu übernachten. Aber es wurde nicht nur gebetet, nein, auch das Feiern war angesagt, bestimmte Jugendwochenenden nutzte man zur Brautschau. Heute wohnen hier Konfirmanden, wenn sie den Unterricht besuchen müssen.
Auf der Heimfahrt erfahren wir von Annette, dass der Elchfarmer schwer krank ist und deshalb der morgige Besuch einer Elchfarm bei Överkalix ausfällt, aber, ich mag es gar nicht glauben, stattdessen fahren wir bei Tageslicht an den Storforsen – ich könnte jubeln. Ein ganz dickes Lob an Annette und andersweg-Reisen. Heute essen wir im CG-Restaurant zu Abend. Später gehen Bettina, Claudia und ich noch auf die Eisbahn und erkennen die ersten Nordlichter. Vorsichtshalber stelle ich meinen Wecker auf 3:00 und 4:00 Uhr, blicke aus dem Fenster, aber der Zauber ist vergangen.
Nun also ein zweites Mal zum Storforsen. Plötzlich bricht Heiterkeit im Bus auf, vor uns laufen etwa 15 Rentiere auf der Straße und unser Fahrer muss abbremsen. Dann ist der Parkplatz erreicht. Die meisten unserer Gruppe gehen direkt zu den Schnellen, andere, auch ich, folgen Sylvia. Sie war schon einmal hier und meint, man solle in Richtung Hotel gehen. Wunderbarer Sonnenschein begleitet uns, zunächst ist das Gehen kein Problem, doch dann wird der Schnee immer tiefer und ich beschließe für mich, auf diesem Pfad auf keinen Fall später zurückzugehen. Irgendwann erkennen wir eine Brücke oder einen Steg, doch ein rotes Band verbietet das Weitergehen. Da Sigrid und ich des Schwedischen nicht mächtig sind ignorieren wir einfach diesen Hinweis und steigen hinab. Ich schaue mich um und siehe da, die anderen folgen uns. Am anderen Ende, wieder auf sicherem Boden, kommen uns drei gleich gekleidete Männer entgegen. Wir sind sicher, dass es sich um Polizisten handelt und überlegen uns schon eine Ausrede – doch es handelt sich „nur“ um Touristen. Wassernebel steigt auf, das Rauschen und Tosen ist schon ganz nahe, und dann stehen wir davor, was für ein Spektakel.
Die größten Stromschnellen Skandinaviens haben eine Fallhöhe von 60 Metern und stürzen durchschnittlich 250 Kubikmeter Wasser des Piteälven pro Sekunde talwärts. Etwa fünf Kilometer soll die Gesamtlänge betragen. Der Weg ist gut begehbar, ausreichend Holzstege sind vorhanden, man hat permanent einen wunderbaren Ausblick auf die Schnellen, die natürlich ein besonders beliebtes Fotomotiv bilden. Ich bin begeistert und froh, dieses Naturschauspiel auch tagsüber zu erleben.
Begeistert gehen wir zurück zum Parkplatz, wo unser gestriger Guide schon ein Fika vorbereitet hat, banal übersetzt eine Kaffeepause mit leckerem Gebäck. Es soll sich um eine traditionelle schwedische Institution handeln, die 15 bis 45 Minuten lang ist. Genüsslich trinke ich mein Glas Tee und genieße den Keks am offenen Feuer. Zurück im Bus gibt es wieder Heimatkunde und wir lernen, dass 40 Prozent der Energie aus Wasserkraft hergestellt wird und dass es am Luleälven 15 Wasserkraftwerke gibt. Fünf Atomreaktoren sorgen für weitere 40 Prozent. Das Busthermometer zeigt minus zwei Grad an. Mittlerweile haben die meisten von uns eine Polarlicht-App heruntergeladen und Annette erklärt uns dieses Phänomen.
Früher hatte man verschiedene Erklärungen. einige glaubten, die Erscheinung sei Vorbote eines Unheils wie Krieg oder Seuche oder eine Mondspiegelung auf den Rüstungen der Krieger nach einer Schlacht, die Sami meinten, dass die toten Seelen leuchten, Wikinger hielten die Nordlichter für Walküren. Auf eine wissenschaftliche Erklärung musste bis 1896 gewartet werden. Fakt ist jedenfalls, dass dieses mystische Licht entsteht, wenn geladene Teilchen des Sonnenwindes auf die Erdatmosphäre in den Polargebieten treffen. Der norwegische Physiker Birkeland war maßgeblich an der Erforschung und Erklärung dieser Faszination beteiligt.
Abends gehen wir zum Silvesterdinner ins „Bistron“. Serviert wird Saibling mit Purree, Linsen und schwarzem Knobi, als Dessert löffeln wir leckere Mousse au Chocolat. Zwischen den Gängen verlassen wir das warme Restaurant und schauen auf dem Eis gespannt und erwartungsvoll nach oben und tatsächlich, das Glück ist uns hold. Zwar habe ich die Polarlichter intensiver in Erinnerung, bin aber dennoch zufrieden. Anschließend treffen wir uns am Kran im Südhafen, erleben ein wunderbares Feuerwerk und stoßen mit Aquavit und Gin Tonic auf das neue Jahr an. Auch die in Deutschland verbotenen und mir bisher nicht bekannten Himmelslaternen werden in den Himmel geschossen. Ganz in der Nähe glimmert noch ein kleines Feuer auf dem wir ein paar Kekse grillen. Leider haben schon alle Gaststätten geschlossen und so begrüße ich das Jahr 2025 mit einer Flasche Wein aus der Minibar.
Am 1. Januar 2025 schlafe ich recht lange, gut, dass heute bis 10:30 gefrühstückt werden kann. Die Sonne scheint vom Himmel, als ich mich auf den Weg zur Eisbahn mache. Viele Menschen sind unterwegs, kein Wunder bei diesem Wetter. Gemütlich wandere ich bis zu einer kleinen Insel, wo der Rotary Club ein kleines Häuschen nutzt. Anfangs zeigt das Thermometer minus 17 Grad, später minus 20 Grad an, und genau dieses Wetter habe ich eigentlich auch erwartet, schließlich habe ich mich vor der Abreise mit etwas Thermokleidung eingedeckt. Ein paar Mitreisende sind mit dem Eisbrecher unterwegs und baden danach mit Schutzkleidung im kalten Meer.
Nun ist der letzte Tag angebrochen, wir packen unsere Sachen zusammen und machen uns auf den Weg. Wieder einmal bin ich überrascht über und dankbar für die Flexibilität unseres Anbieters. Statt eines mäßig interessanten Spaziergangs durch Arvidsjaur besichtigen wir eine Elchfarm. Wenn das kein Service ist! Am Eingang werden wir vom Farmer begrüßt, außer einigen Elchen hält er auch ein paar Rentiere und Mufflons. Gemütlich schauen wir uns die Tiere an, machen etliche Selfies und füttern die Elche mit Apfelstücken. Im Cape Wild erhalten wir interessante Details über die Elche. So erfahren wir, dass
- es sich um Einzelgänger handelt
- die Kälber im Mai und Juni geboren werden, rund 10 kg schwer sind und ein rotes Fell haben
- sie nach ein paar Stunden mit dem Saugen anfangen
- sie im ersten Monat ihr Gewicht verdoppeln
- sie in den Sommermonaten pro Tag 1 bis 1,5 kg zunehmen
- sie bis zum Frühjahr der Mutter folgen
Futter finden sie im Frühling in der wasserreichen Marsch, im Sommer ernähren sie sich mit Blättern, Büschen und Sträuchern, den Herbst verbringen sie im Pinienwald, im Winter suchen sie Zweige und verlieren Gewicht. Elche sind Wiederkäuer. Das Geweih, an dem man das Alter bestimmen kann, wird abgeworfen. Nach einem kurzen Besuch des bestens bestückten Souvenirladens treffen wir uns für ein Gruppenfoto, setzen uns in den Bus und fahren bei minus 24 Grad zum Flughafen. Unterwegs bedanken wir uns bei Annette mit einem kleinen Geschenk. Es schneit, die Lande- und Startbahn wird mit großem Geschütz gesäubert und mit einer Stunde Verspätung, nachdem unser Flugzeug enteist wurde, heben wir ab. Über die Heimfahrt mit der Eisenbahn decke ich den Mantel des Schweigens.
Doch das ist schnell vergessen und mit großer Freude erinnere ich mich gerne an diese tolle Reise.