Von Venezuela über Kolumbien nach Ecuador
Venezuela
Eigentlich wollten Uwe und ich in diesem Jahr nach Südafrika. Wenn, ja wenn er sich nicht in Teresa aus Guayaquil/Ecuador verliebt hätte. Logisch, dass der Tafelberg und die Waterfront in Kapstadt für ihn nur noch Nebensache sind und stattdessen Südamerika absoluten Vorrang hat. Mir ist es egal und so vereinbaren wir, dass jeder für sich allein losfliegt und wir uns an einem bestimmten Tag in Ecuador treffen.
Am Freitag den 13. (September 1996) geht es los, erst mit dem Cityhopper von Bremen nach Amsterdam, dann weiter nach Caracas, der Hauptstadt von Venezuela. Der Jumbo "Ganges" braucht gut neun Stunden für die 7845 km.
Die Zeitverschiebung beträgt sechs Stunden. Mit dem Flughafenbus und danach mit dem Taxi fahre ich in die Innenstadt. Uwe, der vor Jahren schon einmal hier war, hatte mir das Hotel "Cristal" im Zentrum empfohlen, für 13 USD pro Nacht belege ich ein Zimmer. Es ist kein Problem, mit amerikanischen Dollar zu bezahlen, dennoch bemühe ich mich als erstes, einige Reiseschecks zu tauschen. Die normalen Banken sind allerdings nicht zuständig, sondern ein spezieller Wechsel-Laden "La Moneda". Für einen Dollar erhalte ich den Gegenwert von 464 Bolivares.
In Caracas fällt mir gleich die hohe Polizeipräsenz auf, viele Balkons sind vergittert. Es ist sehr viel los auf den Strassen, in der Ferne schimmern die Kordilleren. Mit der Metro fahre ich zur Plaza Bolivar, die Kathedrale und das Regierungsgebäude mit der Kuppel gefallen mir am besten. Stühle und Tische stehen draußen vor den Lokalen, auf einigen Plätzen Schachtische. Zwei Polizisten auf der anderen Straßenseite kontrollieren alle vorbeikommenden jungen Männer.
Auf meine Frage, wie man am besten zu den Angel-Falls (Salto Angel) kommt, ordert der Hotel-Portier einen Reiseagenten her. Sein Angebot sagt mir aber nicht zu, es erscheint mir zu teuer und ich lehne ab. Lieber versuche ich es auf eigene Faust.
Das Ticket für die Weiterfahrt nach Ciudad Bolivar kaufe ich am Busbahnhof "Terminal de Oriente". Die Hinfahrt mit Metro und Sammeltaxi ist ganz einfach, bei der Rückfahrt in die Stadt habe ich Probleme, den richtigen U-Bahn-Eingang zu finden, ein freundlicher Herr zeigt mir den Weg.
Der Bus nach Ciudad Bolivar ist voll, draußen ist es noch heiß, drinnen fürchterlich kalt, viele Mitreisende haben Decken dabei, ich behalte meine Jacke an und friere dennoch, die Klimaanlage bietet nicht nur Vorteile. Bei allen Stopps steige ich aus und wärme mich draußen auf. Leider kann man während der Fahrt nichts sehen, es ist stockdunkel.
Gegen 5.oo h morgens sind wir am Ziel, ich nehme mir gleich ein Taxi, fahre zum Flughafen und erwerbe ein Rückflugticket nach bzw. ab Canaima, dem Ausgangspunkt zu den Angel-Falls. Der Flug dauert 1 ½ Stunden, 20 Minuten länger als geplant, ich darf als einziger Passagier vorn sitzen, der Rest des Fliegers wird von geschlachteten Hühnern in Beschlag genommen. Die Beifahrertür an meiner Seite schließt nicht richtig, vorsichtshalber kontrolliere ich noch einmal, dass der Sicherheitsgurt wenigstens richtig geschlossen ist. Dem Piloten ist es egal, ob ich angeschnallt bin oder nicht. Es ist sehr wolkig, wir fliegen und fliegen, nur Urwald unter uns soweit das Auge reicht, der Pilot kann das Ziel nicht erkennen. "Donde esta el rio" fragt er, wo ist der Fluss, ein mulmiges Gefühl beschleicht mich. Irgendwann kommen wir doch an, bei der Landung öffnet sich die Tür an meiner Seite mit Getöse. Mit zitternden Beinen steige ich aus und verlasse den Flughafen. Ein junger Mann nimmt mich in Empfang und vermittelt mir, nachdem ich den Parkeintritt entrichtet habe, einen Platz in einem Hängemattencamp.
In Canaima ist nicht sehr viel los. An der anderen Seite der Lagune sind zwei schöne Wasserfälle, kurz vor der Landung konnte ich sie im Flugzeug bereits gut erkennen. Mittags öffnet der Himmel sämtliche Schleusen, es giesst aus allen Kübeln, einen solchen Wolkenbruch habe ich noch nicht erlebt. Das Wasser prasselt auf das Wellblechdach, ich kuschele mich in die Hängematte und fühle mich wundervoll geborgen.
Kurz vor 5.oo h werde ich am nächsten Morgen geweckt, mit einem Kleintransporter fahren wir an den Wasserfällen vorbei, die man allerdings nur hören kann, zum Kanu. Wir sitzen mit zehn Personen im Boot, der Lenker und neun Touristen. Nach etwa einer halben Stunde müssen wir das Kanu verlassen und eine Zeit lang zu Fuß gehen, der Rio Carrao ist wegen einiger Stromschnellen an dieser Stelle nicht passierbar. Dann geht es weiter, es ist total anheimelnd in der Dunkelheit, nur das Rauschen des Flusses im Ohr. Nach dem Frühstück in einem Camp wird es heller und wir erkennen die ersten Tafelberge. Eine längere Zeit genießen wir die überwältigende Kulisse der Berglandschaft.
Einer der Männer im Boot fragt nach meinen nächsten Reisezielen. Als er erfährt, dass es nach Kolumbien weitergeht, rät er zu absoluter Vorsicht und beschreibt mir, wie gefährlich es ist. "Peligroso, peligroso" höre ich fortwährend.
Dann, nach insgesamt vierstündiger Bootsfahrt, sind wir am Ziel und ein, jedenfalls für mich, anstrengender Aufstieg durch den Urwald beginnt. Oben angekommen gibt es für jeden ein Glas Wasser zur Belohnung. Doch was sehen wir, nur Wolken, vom Salto Angel, dem höchsten Wasserfall der Erde, ist nur ein kleiner unterer Teil zu erkennen. Wir marschieren wieder nach unten und durchqueren den Fluss bei voller Strömung. Neben der Bootsanlegestelle werden zum Lunch Hähnchen gegrillt. Einige Mitreisende baden im Fluss, ich mache einen kleinen Spaziergang und was sehe ich - den Wasserfall in seiner vollen Länge, man schätzt ihn auf 950 bis 1000 m. Die Wolken hatten sich verzogen und der Salto Angel zeigt sich uns in seiner ganzen Pracht und Schönheit, ich hätte jubeln können.
Die Rückfahrt dauert nicht ganz so lange, da wir mit der Strömung fahren. Dennoch weiß ich bald nicht mehr, wie ich sitzen und wo ich meine Beine lassen soll. Am Sapo-Wasserfall legen wir eine Pause ein, wir gehen unter dem Fall hindurch, der Geräuschpegel ist überwältigend. Trotz Regencape ist fast alles an mir nass geworden.
Auf dem Rückflug genieße ich ein letztes Mal die Naturschauspiele von oben. Wir sind vier Personen einschließlich Pilot. Anschnallen brauchen wir uns nicht. Der Pilot telefoniert während des Fluges per Handy. In Ciudad Bolivar checke ich im "Gran Hotel Colonial", direkt am Orinoco, ein. Ich mache einen längeren Spaziergang am Fluss entlang, man könnte meinen, es handele sich wegen der Ausmaße um einen See. Auch in diesem Ort gibt es wieder die typische Plaza Bolivar mit Kathedrale. Den Abend verbringe ich auf dem Hotelbalkon, der als Bar dient, mit freiem Blick auf den Orinoco, einfach herrlich. Schöne graziöse Frauen erregen meine Aufmerksamkeit.
Nach Caracas zurück nehme ich ein Flugzeug. Es ist schon relativ spät, ich habe keine Lust, in die Innenstadt zu fahren und erkundige mich nach einem Hotel in der Nähe des Flughafens. Das Taxi fährt und fährt, langsam werde ich unruhig. Der Taxifahrer erklärt mir, dass das Hotel in La Guaira liegt, direkt am Karibischen Meer. Schließlich kommen wir doch an und ich genieße ein Abendessen im Freien mit Meeresrauschen als Hintergrundmusik. Hier erhalte ich zum ersten Mal Münzen als Wechselgeld, in Caracas gab es nur Scheine. Die Inflationsrate, so erzählt mir ein Kellner, soll in den letzten zehn Jahren von sechs auf 1000 % gestiegen sein.
Im Flughafen erwerbe ich am nächsten Tag ein Ticket für einen Flug nach Bogota, zahle 21 USD Ausreisetax und dann heben wir auch schon ab.