Kappadokien - Pergamon - Troja - Istanbul
Kadriye
Wieder habe ich die angenehme Qual der Wahl: Für welchen der zahlreichen preiswerten Anbieter entschließe ich mich, oder sollte ich nicht doch individuell Kappadokien erkunden?
Letztendlich entscheide ich mich für das Angebot von rundreisen.de, erhalte die Reisedokumente von FOX-Tours und werde einem Bus des Veranstalters „Berge & Meer“ zugeteilt. Doch alles der Reihe nach.
Rund 5 Grad zeigt das Thermometer im Flughafen Hamburg an, es ist kalt und trübe. Ein paar Stunden später lacht mein Herz, als über dem Taurusgebirge und dem Mittelmeer keine Wolken mehr die Sicht versperren und einen tollen Blick auf das Land zulassen. Der Schnee auf den Bergen und die Gewächshäuser auf den riesigen Gemüsefeldern glänzen jetzt, Anfang April 2013, in der Mittagssonne und versprechen einen schönen Urlaub. Während des Fluges erleidet meine Sitznachbarin einen Kreislaufzusammenbruch und schon erfolgt die aus Filmen berühmte Durchsage, ob sich ein Arzt an Bord befinde. Man weist mir einen anderen Platz zu, eine Ärztin kümmert sich und die Dame wird ihren Strandurlaub antreten können. Nach der Landung steige ich bei warmen 24 Grad ins bereitstehende Taxi und werde, nachdem wir noch einen weiteren Passagier im Terminal II abgeholt haben, zum „Hotel Melissa Garden“ in Kadriye bei Belek gefahren.
Außer den deutschen Reisegruppen wohnen noch diverse russische Gäste, vorwiegend Frauen, in der Herberge. Nach dem üblichen Abendessen vom Buffet setze ich mich an die Bar und werde nach kurzer Zeit von der hübschen Lydia zum Tanz aufgefordert. Schnell suche ich meine paar russischen Sprachbrocken zusammen. Aber sie hat es gar nicht auf meine Person abgesehen, vielmehr versucht sie als Animateurin, zusammen mit ihren türkischen männlichen Kollegen, die der russischen Sprache ganz mächtig zu sein scheinen, Stimmung in die Gesellschaft zu bringen. Und die Damen aus dem Osten stellen sich gern zur Verfügung, freuen sich über das Angebot und kreisen mit den Hüften, dass es eine Freude ist.
Wie auch auf der Lykien-Rundreise im letzten Jahr werden hier die Getränke einzeln und mit vier Durchschlägen notiert und später zusammen abgerechnet. Ich bezahle zum Schluss des Abends, lasse mir aber keine Quittung aushändigen, anderntags war im Computer nichts abgebucht und ich durfte noch einmal mein Portemonnaie zücken.
Am nächsten Morgen hat es sich abgekühlt, auch die Sonne wagt sich noch nicht heraus. Wir werden, je nach Abflughafen, auf vier Busse verteilt. Meine Gruppe hat Deutschland, außer von Hamburg, von Leipzig und Stuttgart verlassen und besteht überwiegend aus Sachsen und Saarländern. Veranstalter ist „Berge & Meer“, die meisten meiner Mitreisenden hatten hier auch direkt gebucht. Mir ist es recht, hatte ich doch schon von einer Verwandten gute Kritiken gehört. Unser türkischer Partner heißt RST Rising Sun Travel.
Serkan wird uns die nächsten Tage als Reiseleiter zur Verfügung stehen. Er spricht gut Deutsch, vermittelt uns viele Informationen über die Türkei und speziell Kappadokien, aber auch über die Familie und das soziale Leben. Gestellten Fragen weicht er gelegentlich aus und Widerspruch wird nicht geduldet. Ich schildere meine Probleme beim Bezahlen der Getränke. Er will sich darum kümmern – bis heute habe ich in dieser Angelegenheit nichts mehr gehört. Hassan, unserer Fahrer, verrichtet einen guten Job und versteht die Verkehrsschilder, im Gegensatz zu den üblichen türkischen Autofahrern, nicht als Dekorationsartikel, so jedenfalls schildert es uns Serkan. Insgesamt werden wir rd. 1.700 Kilometer unterwegs sein, unser heutiges Pensum liegt bei 600 Kilometern.
Nach kurzer Zeit verlassen wir die Küstenstraße und fahren in nordöstlicher Richtung ins Taurusgebirge. Die Fahrt verläuft auf den gut ausgebauten Fernstraßen sehr angenehm und ausreichend Pausen sind einkalkuliert. An Obstständen neben der Fahrbahn werden Orangen und Bananen angeboten. Den ersten Stopp mit Panoramablick legen wir auf einer Höhe von 1.825 m ein, umgeben von schneegesäumten Bergen, gefolgt von einer längeren Pause an einer Raststätte, wo ein Schild sowohl auf ein WC als auch auf eine Moschee hinweist. Ein Großteil der Gruppe hatte das „Mittagessen-Paket“ gebucht und nimmt an langen Tafeln Platz, der Rest wandert umher und trinkt einen Kaffee.
Ponchos sind bei unseren Damen, möglicherweise wegen des kühlen Wetters, als Souvenir besonders begehrt und werden dementsprechend reichlich erworben.
Serkan berichtet, dass die Türkei ab Mai 2013 schuldenfrei sein wird, nach einem Wirtschaftswachstum von 9,3 Prozent im letzten Jahr. Die Einwohnerzahl seines Heimatlandes liegt bei 74 Mio., unterteilt in etwa 160 ethnische Gruppen. Der Altersdurchschnitt soll bei 28 Jahren liegen, rd. 18,5 Kurden leben hier. Lediglich 3 Prozent des Landes gehört zu Europa, der weithin größte Teil, also Kleinasien oder Anatolien, zu Asien. Kindergeld wird vom Staat nicht gewährt. 28 Mio. Touristen gaben dem Land im letzten Jahr die Ehre, sie landeten überwiegend in Antalya.
An den Universitäten und Hochschulen sind ca. 2,5 Mio. Studenten immatrikuliert, 60 Prozent davon weiblichen Geschlechts. Diese Relation wirkt sich auch auf die betriebliche Struktur aus, denn ein Drittel der Führungskräfte und Vorgesetzten besteht aus Frauen. Ihr Status wurde in den letzten Jahren vom Gesetzgeber erheblich verbessert, ihre Rechte denen der Männer weitgehend angepasst. Allerdings hat sich in den letzten 13 Jahren die Scheidungsrate um 800! Prozent erhöht. Der Frau steht nach der Trennung die Hälfte des Einkommens ihres Exmannes zu.
Auch das Gesundheitswesen wurde angepasst, Serkan musste für die Geburt seines Kindes in einer Privatklinik 130,- Euro bezahlen. Seine Frau wurde damals zwei Tage stationär aufgenommen.
Staatliche Kindergärten sind in nicht ausreichender Anzahl vorhanden. Es gibt private, aber sie sind nur für eine begrenzte Anzahl der Bürger erschwinglich. Kinder tragen Schuluniform, ab der zweiten Klasse steht Englisch auf dem Stundenplan. Schulbücher werden vom Staat zur Verfügung gestellt.
Studentinnen, Professorinnen und weibliche Beamte tragen während ihres Dienstes oder während der Arbeit kein Kopftuch. Alle gesunden Männer gehen zum Militär, es gehört bei ihnen zum sozialen Status. Ende des letzten Jahrtausends wurden noch 70 Prozent des Staatshaushalts für militärische Zwecke ausgegeben, der Anteil hat sich auf 30 Prozent reduziert.
Wenn dann zwei Menschen zueinander finden und ihre Familien sich zum ersten Mal besuchen, ist am Geschmack des Kaffees, entweder mit Zucker oder Salz aufbereitet, zu erkennen, ob die Verbindung befürwortet oder abgelehnt wird. Die dann möglicherweise anschließende Verlobungsfeier wird von den Brauteltern ausgerichtet, für die Hochzeit und Einrichtung der Wohnung ist der Mann zuständig, lediglich das Schlafzimmer wird von der Braut besorgt. Zwangsehen, Ehrenmorde etc. sollen so gut wie gar nicht vorkommen, jedenfalls ist es uns so berichtet worden.
Vorbei an blühenden Aprikosensträuchern, Kirsch- und Pfirsichbäumen, Zuckerrüben- und Getreidefeldern, nähern wir uns Konya, der einzigen türkischen Stadt, die nicht von einem Erdbeben bedroht werden kann. Serkan berichtet, dass die hiesige Bevölkerung relativ extrem und konservativ ist, was Glaube, Kopftuch etc. angeht, aber auch der Alkoholverbrauch pro Einwohner soll hier statistisch am höchsten sein. Die Einwohnerzahl beträgt rd. 1 Mio. Mercedes-Benz zählt zu den wichtigsten Arbeitgebern. Sonnenkollektoren auf den Dächern sorgen für heißes Wasser im Haus. In den Schrebergärten wird Gemüse angebaut. Baufällige Sinti- und Romahäuser sollen abgerissen und beseitigt werden.
Kurz hinter dem Heldenfriedhof erreichen wir unser erstes Tagesziel, das Mevlana-Kloster. Der Mevlanaorden, auch als Orden der tanzenden Derwische bezeichnet, wurde nach seinem Gründer, Mevlana Celeleddin Rumi, benannt. Er wurde hier beigesetzt und sein Sarg ist ein beliebtes Ziel der Gläubigen. Der Orden wurde von Atatürk verboten, das Kloster säkularisiert und wird jetzt als Museum weitergeführt. Direkt daneben befindet sich die Selimiye-Moschee.
Auf der ehemaligen Seidenstraße geht es weiter in Richtung Kappadokien, dem Land der schönen Pferde. Serkan meint, bei diesem Landesteil handele es sich um das Paradies, wächst hier doch alles, was das Herz begehrt: Aprikosen, Walnüsse, Kürbisse, Erdbeeren, Orangen, Haselnüsse, Pistazien, Quitten, Kartoffeln und Wein. Seine Reben sind wesentlich kürzer als in Deutschland und den anderen europäischen Anbaugebieten. Die Weintrauben wachsen kurz über dem Boden. Angeblich wird französischer Wein mit Produkten aus der Türkei angereichert, so jedenfalls hören wir es von unserem Reiseleiter.
Nach elf langen Stunden sind wir am Ziel, Kappadokien empfängt uns. Die nächsten vier Nächte werden wir im „Hotel Turban“ in der Nähe von Ürgüp verbringen.