Auf ins Périgord
Périgord
Die nächsten Nächte werde ich im „Hotel ALTICA-Sarlat“ wohnen. Es liegt etwa einen Kilometer vom Zentrum entfernt, hat aber einen kostenlosen Parkplatz und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. So schnappe ich gleich nach dem Einchecken den kleinen Périgord-Reiseführer von Martin Walker, er lag bei einem der letzten Romane bei, und mache mich auf den Weg in die Innenstadt. Doch, wie an jedem Nachmittag, das Thermometer steigt wieder erbarmungslos auf über 35 Grad und schnell suche ich einen schattigen Platz in der Fußgängerzone. Nach einer kurzen Erfrischungspause suche ich das etwas abseits von der Hauptstraße gelegene Restaurant „Les Delices de Lauralice“ und reserviere einen Tisch auf der Terrasse.
Die Stadt, ca. 9.000 Einwohner, liegt in einer Senke des Périgord noir und ist idyllisch von bewaldeten Hügeln umgeben. Sein mittelalterliches Stadtbild, das auf das 13. bis 16. Jahrhundert zurückgeht, seine alten Gassen und Höfe eignen sich hervorragend als Filmkulisse und viele Produktionen wurden hier gedreht. Ich schaue mir das Rathaus und die Lanterne des Morts, einen zylindrischen Turm, der früher als Totenkapelle oder –laterne diente und wo bei Seuchen ein Warnfeuer entzündet wurde, an und orientiere mich dann zur Cathédrale St-Sacerdos. Sehenswert sind Reste des Kreuzgangs und ein Brunnenhof. Ältester Teil des Gebäudes ist der romanische Glockenturm aus dem 12. Jahrhundert. Gleich gegenüber erhebt sich die Maison de La Boétie, in dem der Schriftsteller und Politiker Ètienne de La Boétie im 16. Jahrhundert geboren wurde. In meinem Reiseführer lese ich, dass sich jährlich eine Million Besucher an seinen alten Mauern vorbeischieben. Dann wird es Zeit für das Abendessen. Gut, dass ich reserviert habe, denn sonst hätte ich wohl keinen Platz auf der Terrasse gefunden. Natürlich bestelle ich hier als Vorspeise foie gras und esse danach eine Entenkeule, dazu gibt es einen trockenen Bergerac. In einem der Romane behandelt Walker die Herstellung der Entenstopfleber und schreibt, dass Bauern in dieser Region die Enten und Gänse nicht durch Nachstopfen quälen, sondern die Tiere sich von Natur her eine volle Leber anfressen. Jeder mag für sich entscheiden, ob er diese Delikatesse bestellt oder nicht. An den nächsten Tagen habe ich kein Restaurant gefunden, wo diese Vorspeise nicht auf der Karte steht.
Das Gebiet Périgord entspricht dem Département Dordogne und liegt in der südwestlichsten Region des Landes, der Nouvelle Aquitaine. Es ist in vier Landschaften unterteilt:
- Périgord vert, das grüne Périgord im hügeligen waldreichen Norden
- Périgord blanc, das weiße Périgord mit den Kalkplateaus und der Hauptstadt Périgeux
- Périgord noir, das schwarze Périgord mit den dunklen Eichen- und Pinienwälder im Südosten und das
- Périgord pourpre, das purpurne Périgord im Südwesten bei Bergerac
Die hiesige Landwirtschaft spielt eine große Rolle, der Beschäftigtenanteil liegt in diesem Bereich erheblich über dem Landesdurchschnitt. Obst- und Maisanbau spielen eine große Rolle, aber auch die Tierhaltung und natürlich der Weinanbau, nicht zu vergessen die Trüffelwirtschaft. In seinem dritten Fall ermittelt Bruno in dieser Branche, nachzulesen im Roman „Schwarze Diamanten“. Die hiesigen Trüffel genügen höchsten Ansprüchen, aber auch andere Pilze werden hier geerntet. Gut 400.000 Périgourdins wohnen in dieser Region.
Auf der Fahrt nach Lascaux freue ich mich am nächsten Tag einmal mehr über die gelb-grünen Sonnenblumen, die reichlich am Weg anzutreffen sind. Kurze Zeit später ist Montignac erreicht und dann stehe ich auch schon vor dem glücklicherweise geräumigen Parkplatz und habe keine Probleme, mein Auto abzustellen. Im Empfangsbereich von Lascaux IV erwerbe ich für 20,- Euro eine Eintrittskarte und habe dann noch über eine Stunde Zeit, bis die in englischer Sprache gehaltene Führung beginnt. Die frühere Halle für das normale Publikum, Lascaux II, wurde von Schimmel befallen und steht nur noch einer bestimmten ausgesuchten Klientel zur Verfügung. Lascaux IV, das wir gleich in Augenschein nehmen werden, existiert seit 2016. Vor dem Eingang stehen zwei bewaffnete Soldaten.
Die jungpaläolithische Höhle Lascaux wurde 1940 von vier Männern entdeckt. Nachdem sie 1948 für die Allgemeinheit geöffnet wurde, kamen täglich über 1.000 Besucher und ihre Atemluft beschädigte die Wandmalereien derartig, dass die Höhle im Jahre 1963 für den Publikumsverkehr geschlossen wurde. Alle Relikte wurden restauriert und eine genau ausgetüftelte Belüftungs- und Klimatechnik sorgt für den Erhalt der Exponate. Man meint, dass die prähistorischen Malereien aus der Zeit zwischen 17.000 bis 15.000 v. Chr. stammen, andere Wissenschaftler vermuten, dass sie wesentlich älter sind und aus der Zeit bis 35.000 v. Chr. sein könnten. Einer nannte die Höhle auch „Sixtinische Kapelle der Frühzeit“.
Nun beginnt die Führung, wir erhalten ein Audiophon und ein sehr bemühter junger Mann führt uns in die nachgebaute Höhle. Leider kann ich sein Englisch ganz schlecht verstehen. In der nächsten Stunde werden wir auf 900 Quadratmetern Höhlenwänden 680 Fresken und über 1.000 Gravuren besichtigen können. Nachgebildet wurden Stiere, Auerochsen, Rentiere, Pferde und ein Bär. Ein interessanter Rundgang, der bei weniger durchgeschleusten Besuchergruppen sicher noch entspannter gewesen wäre. Sollte ich noch einmal diese Gegend bereisen, werde ich weitere Angebote besichtigen, denn das Tal der Vésère verfügt über nicht weniger als 147 archäologische Ausgrabungsstätten und 25 Höhlen mit prähistorischen Zeichnungen.
Mittlerweise hat sich das Thermometer wieder über die 30-Grad-Marke geschoben. Ich steige ins Auto und fahre am malerischen Fluss Vésère bis Les Eyzies de-Tayak. Einige Kanuten vergnügen sich auf dem Wasser. Immer wieder halte ich an, um die massiven Kalkwände zu bestaunen und dann ist Le-Bugue erreicht, nun kann ich mir Saint-Denis ansehen.
Der Ort, gut 2.500 Einwohner, an der Nordseite der Vésère, eine mittelalterliche Brücke führt hier über den Fluss, wird von Fans der Bruno-Romane gern besucht. Auch Martin Walker, der Vater des Helden, wohnt hier zeitweilig. Ich wandere über die Brücke und habe wieder einen phantastischen Blick auf die Landschaft. Das Rathaus liegt in Ufernähe. Im Zentrum suche ich mir einen schattigen Platz und stärke mich ein wenig, danach wandere ich durch die kleinen Gassen und mache mich anschließend auf den Heimweg. Man hätte ein Aquarium besuchen können, aber danach steht mir heute nicht der Sinn. Zum Abendessen gehe ich ins „La Rapiere“, es liegt gegenüber der Kathedrale und gefällt mir außerordentlich gut. Nun noch ein Absacker auf der Hotelterrasse und dann ist auch dieser interessante und abwechslungsreiche Tag beendet.
Heute geht es zunächst nach Domme, es sind nur ein paar Kilometer. Der Ort, rund 1.000 Einwohner, wurde im Mittelalter als Bastide auf einem Felsvorsprung über der Dordogne erbaut. „Bastide“ bedeutet eine im Mittelalter gegründete und weitgehend in einem Zug erbaute Stadt. Gebaut als neue Marktflecken, dienten sie auch als Bollwerk und zeichneten sich durch eine trutzige Kirche, die gleichzeitig Burg war, und einen zentralen Platz aus. Gerade in dieser Gegend sind sie häufig anzutreffen.
Der erste angesteuerte Parkplatz ist bereits wegen Überfüllung geschlossen, aber beim nächsten habe ich Glück. Viele Gäste haben sich hierher auf den Weg gemacht, denn Domme gilt als eines der schönsten Dörfer Frankreichs und wird auch „Akropolis des Périgord“ genannt. Seine mittelalterliche Stadtmauer ist fast vollständig erhalten. Durch ein wuchtiges Tor betrete ich den Ort. Heute ist Markttag und viele Stände sind vor der Markthalle aufgebaut. Einige Anbieter locken mit kleinen Probierhäppchen. Ich drängele mich durch die Besucherscharen und steuere die Aussichtsterrasse „Le Barre“ an. Eine wunderbare Aussicht, ein Panorama, ein Ambiente, das ich auf dieser Reise noch nicht erlebt habe. Auf der einen Seite kann man den Verlauf der Dordogne bis Beynac verfolgen, auf der anderen bis zum Cingle de Montfort. Welch einmaliges Bild! Henry Miller schildert dieses Erlebnis mit den Worten: „Ein Blick, für den man das ganze Leben dankbar sein muss.“ Unter den Arkaden der Markthalle befindet sich der Abstieg zur Grotte, einer Tropfsteinhöhle. Beeindruckt gehe ich zurück zum Parkplatz.
Nun ist es nicht mehr weit bis zu meinem heutigen zweiten Ziel: La Roque-Gageac. Auch dieser Ort, knapp 500 Einwohner, wurde als einer der schönsten Dörfer Frankreichs klassifiziert. Man kann sich ein Kanu mieten, aber auch mit einer Gabarre auf der Dordogne entlangfahren und vom Fluss aus die pittoresken Häuser an der Felswand oder die Burgen auf den Berggipfeln bestaunen. Ältere Häuser wurden auf Terrassen, direkt an der Felswand, erbaut. Ich entscheide mich für einen Spaziergang am Fluss entlang. Die Burgen Beynac und Castelnaud werde ich mir direkt und nicht vom Wasser aus ansehen. Während einer Mittagspause im Schatten einiger Bäume beobachte ich die zahlreichen Wassersportler.
Beim Chateau de Castelnaud soll es sich um die am meisten besuchte Burg Frankreichs handeln. Auf einem Berg gebaut ist sie weithin sichtbar, direkt am Ufer der Dordogne und gegenüber der Burg Beynac. Im 100-jährigen Krieg war sie einer der wichtigsten Stützpunkte der Engländer. Als sie von den Franzosen zurückerobert wurde brannte sie ab und bleibt als Ruine erhalten. Aufgrund des großen Zuspruchs und der vielen Gäste versage ich mir einen Besuch des Museums für Kriegsmaschinen im Inneren. Im Jahr 1214 wurde das Bauwerk erstmals erwähnt, galt während des Hundertjährigen Krieges als strategisch wichtige Festung und wechselte dann zwischen englischen und französischen Besitzern.
Die mittelalterliche Festung von Beynac ist mein nächstes Ziel. Hier wurde im letzten Jahrhundert u. a. der Film „Johanna von Orléans“ gedreht. In einer Broschüre wird die Anlage folgendermaßen beschrieben: „Auf den Gipfel Schwindel erregender Felsklippen thront dieses Schloss, ein steinerner Wachtposten, der seit neun Jahrhundert über die Dordogne wacht“. Es zählt zu den besterhaltenen Burganlagen Frankreichs und wurde im 12. Jahrhundert als Bergfried auf einem für Feinde schwer zugänglichen Kalksteinplateau errichtet. Kurze Zeit später wurde sie von Richard Löwenherz eingenommen, danach zerstört, wieder aufgebaut und stellte im 15. Jahrhundert im 100-jährigen Krieg ein Bollwerk gegen die Engländer dar. Auch hier herrscht hektisches Treiben. Zunächst sehe ich mir die Außenanlage an, wiederum habe ich einen unvergleichlichen Ausblick auf den Fluss, und erwerbe dann ein Ticket für die Innenräume. Gemütlich schlendere ich durch den alten Rittersaal und den Salle des Etats, den Saal der Barone des Périgords, und danach durch die Schlossküche. Eine Besichtigung der Kathedrale ist heute nicht möglich.
Auf der Fahrt zum Hotel wollte ich mir eigentlich noch die Gartenanlage „Jardins suspendus Marqueyysac“ ansehen, aber mittlerweile ist es so heiß geworden, dass ich mich nach einem kühlen Drink im Schatten sehne und die Heimfahrt antrete. Hier, bei den Gärten, hätte man auch die Möglichkeit, durch ein Maislabyrinth zu schleichen. Zum Abendessen gehe ich ins Restaurant Le Médiéval, es liegt etwas abseits des Trubels und die Preise stimmen ebenfalls.
Nun ist für mich der letzte Tag im Périgord angekommen, ich checke aus und begebe mich auf kleinen Straßen bis Trémolat, bekannt wegen der Küche und der Cingles, wie hier die Flussschleifen genannt werden. Es ist noch zu früh für eine Mittagspause und so fahre ich durch den gemütlichen pittoresken Ort zu einem Parkplatz auf einem Hügel mit bester Sicht auf die Flusswindungen. In dieser Gegend fließt die Vézère in die Dordogne. Auf gemütlichen Wegen geht es weiter bis Lalinde, denn dieses Städtchen spielt eine Rolle bei Bruno´s letzten Ermittlungen. Zurück in Trémolat suche ich einen schattigen Parkplatz und mache mich auf den Weg zum Restaurant „Le Vieux Logis“, dem wohl bekanntesten und besten Esstempel der Region. Ines hatte ihn mir ans Herz gelegt, aber auch im Reiseführer und in Bruno´s Broschüre findet er reichlich Erwähnung und wird ausdrücklich empfohlen. Aber mir ist es noch zu früh für ein ausgiebiges Mahl – und auch zu heiß. Also schaue ich mir das Gebäude von draußen an. Viele Autos parken hier, mehrere mit ausländischem, also nicht französischen, Nummernschild. Stattdessen suche ich mir einen Platz gegenüber im „Bistrot de la Place“, es gehört nämlich zum Haus und bestelle ein menue du jour. Es schmeckt hervorragend und ist erheblich preiswerter. Dann heißt es leider Abschied nehmen vom Département Dordogne.