Blühende Landschaften
Baden-Württemberg - durchs Musterländle dem Ziel entgegen
30.03.2016 Von Tauberrettersheim bis Rot am See 35 km
Der heutige Tag wird anstrengend werden, über Berg und Tal bei teils heftigem Regen und starkem Wind lange 35 Kilometer bis Rot am See. Doch der Reihe nach:
Am Ortsausgang von Tauberrettersheim steht auf halbem Weg zur Bergkuppe eine kleine Kirche. Kruzifixe und Steinstelen davor beschreiben den Kreuzgang von Jesus. Dann ist Quecksbronn erreicht. Der Ort gehört zur Stadt Weikersheim und liegt im Main-Taunus-Kreis, Baden-Württemberg lässt bitten.
An Weinbergen vorbei geht es rauf und runter durch eine reizvolle Gegend, weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen, schade, dass das Wetter die Stimmung trüben muss. Nach einem relativ steilen Abstieg erreiche ich Laudenbach. Ein freundlicher Landwirt gibt mir gute Informationen über die weitere Strecke und empfiehlt mir, unbedingt die Wallfahrtskirche zu besichtigen. Man habe von oben eine wunderbare Aussicht auf die Region Hohenlohe. Aber bei der Wetterlage versage ich mir den Aufstieg. Mein Gesprächspartner meint weiterhin verschmitzt lächelnd, hier gäbe es keine Berge, nur schöne Täler. Die zweite Aussage kann ich uneingeschränkt bestätigen.
In Haagen angekommen, freue ich mich über das „schnuckelige“ Rathaus und die kleine Kirche. Hier scheinen die meisten Bauern Rindvieh zu halten. Nachdem ich Vorbach-Zimmern gestreift habe, erreiche ich die Stadt Niederstetten. Am Rathaus mit dem Schimmelturm vorbei orientiere ich mich nach Oberstetten. Informationsschilder geben Aufschluss über die Flora neben uns, ein interessanter Naturlehrpfad, der mich bei besserem Wetter mehr angesprochen hätte, denn mittlerweile musste ich mein Regencape überstreifen. Im Ort erfahre ich die Bauernweisheit: Einer Rebe und einer Geiß wird’s im August nicht zu heiß. Pünktlich um 13:00 Uhr betrete ich den Landkreis Schwäbisch Hall.
Könbronn und die Stadt Schrotsberg sind nächste Stationen. Hier lege ich eine Pause ein und stärke mich in einer Metzgerei am „heißen Tresen“ mit Fleischkäse und halbwarmem Kartoffelsalat. Anschließend erfolgt ein relativ unangenehmer Marsch auf einer viel befahrenen Bundesstraße bis Blaufelden. Ein freundlicher Herr aus der Schweiz hält an und möchte mich mitnehmen. Aber aus bekannten Gründen muss ich das gut gemeinte Angebot leider ablehnen. Nachdem ich die Brettach, einen Nebenfluss des Kochers, überquer habe, ist Rot am See in Sichtweite. Nun noch ein paar Kilometer und ich bin am Ziel, beziehe ein Zimmer im Hotel-Gasthof Lamm und lasse mich müde aufs Bett fallen. Später bitte ich die Wirtin um eine Nadel, damit ich die Blase unter dem Fußballen öffnen kann. Mein Abendessen nehme ich im Hotelrestaurant ein und unterhalte mich ein wenig mit einem Monteur aus der Nürnberger Gegend. Das heimische Bier ist süffig und erheblich preiswerter als in Bremer Gaststätten.
31.03.2016 Rot am See bis Crailsheim 17 km
Das Gehen bereitet mir trotz der Blase keine Probleme und heute spielt auch das Wetter mit. Die Sonne lacht und gegen 10:00 Uhr zeigt das Thermometer schon warme 14 Grad an. Zunächst gehe ich auf der B 290, verlasse diese stark frequentierte Bundesstraße dann aber und orientiere mich in Richtung Niederwinden. Ein Bauer erklärt mir die Möglichkeiten, abseits der viel befahrenen Wege voranzukommen und erwähnt, dass er im April auch Bremen und Bremerhaven besuchen wird. Sein Maschinenring organisiert diesen Ausflug.
Bis Wallhausen gehe ich auf einem angenehmen Fahrradweg, dann auf einer Nebenstrecke nach Gröningen. Nachdem ich Sattelweiler kurz gestreift habe, geht wieder auf der B 290 weiter, allerdings nicht auf der Fahrbahn, sondern auf einem parallel dazu angelegten Fußgänger- und Fahrradweg, das lässt sich aushalten. Und dann sehe ich auch schon das Schild „Große Kreisstadt Crailsheim“. Etwa 33.000 Einwohner hat die Stadt. Nachdem ich auf einer kleinen Brücke über die Jagst gegangen bin, ist der Bahnhof nicht mehr fern. Die Westfrankenbahn fährt pünktlich los und auch der Regionalzug von Lauda bis Würzburg hat keine Verspätung. Selbst der ICE hält sich an den Fahrplan und glücklich lasse ich mich im Bordrestaurant nieder. Vom Bremer Hauptbahnhof gehe ich, an der noch betriebenen Osterwiese vorbei, ins vordere Schwachhausen und lasse es mir auf einer Geburtstagsfeier gut gehen.
09.05.2016 Crailsheim bis Ellwangen 27 km
Mittlerweile ist die Anfahrt zum Ausgangspunkt doch schon relativ weit und so bin ich bereits am Vortag angereist. In einem völlig überfüllten Zug, erst ab Köln wurde es erträglich. Und wie! Direkt am Rhein entlang, vorbei an der Loreley und durch die bekannten Weinorte Bingen oder Oppenheim. Mit reichlich Verspätung kommen wir in Crailsheim an und ich habe Mühe, noch ein Lokal zu finden. Der Wirt der Eisdiele „Venezia“, andere Gaststätten haben schon geschlossen, gibt mir gute Wandertipps. Ein kleiner Maikäfer hat sich hier verirrt.
Bevor ich die heutige Wanderung beginne, suche ich noch einen Augenarzt auf, denn mein rechtes Auge ist etwas geschwollen und man weiß nicht, welche Auswirkungen eintreten können. Er verschreibt mir eine Salbe und ein paar Tage später ist vom Gerstenkorn nichts mehr zu spüren. In den nächsten Stunden werde ich ausschließlich dem Kocher-Jagst-Radweg folgen, meistens am Ufer der Jagst, einem Nebenfluss des Neckar. Über Ingersheim geht es nach Jagstheim. Bauern sind bei der Heuernte. Das frisch gemähte Gras riecht angenehm und erinnert mich an meine Kindheit, weil ich früher auch beim Heuen mithelfen musste. Hinter Steinbach führt die Strecke ein kurzes Stück an der B 290 entlang, danach parallel zu den Bahnschienen. Meistens bin ich allein auf weiter Flur, ab und zu treffe ich auf Radfahrer. Nachdem Stimpfach passiert ist, geht es auf einem ruhigen Waldweg weiter bis Jagstzell, unterhalten von einem vielfältigen Vogelkonzert. Bei einer Bäckerei am Ortsausgang lege ich eine kleine Pause ein und stärke mich etwas.
Beim Weitergehen nach Kalkhöfe begleitet mich ein Radfahrer eine gute halbe Stunde und wir unterhalten uns prächtig. Er hat Deutschland radelnd erkundet und weiß gut darüber zu berichten. Ein paar Wochen später erhalte ich von Herrn Lippstreu eine nette Email, in der er noch einmal an das angenehme Gespräch erinnert. Das Wandern macht heute sehr viel Spaß, die Sonne scheint und ein kleiner Luftzug sorgt dafür, dass es nicht zu heiß wird. Am Ufer der Jagst lege ich eine weitere Pause ein und ein anderer Radfahrer, mit dem ich mich hier unterhalte, berichtet stolz, dass er kurz vor Ellwangen einen Storch gesehen habe.
Weiter geht es über Schönau an Rindelbach vorbei. Die zwei Türme der Wallfahrtskirche „Schönenberg“, auch „Zu unserer lieben Frau“ genannt, leuchten in der Nachmittagssonne. Das Gotteshaus liegt in 530 Metern Höhe auf dem Schönenberg. Beim Weitergehen fällt mir eine Tafel mit der Inschrift „Herzlich willkommen im Tal der braunen Pferde“ auf. Ein Reiher beobachtet am Ufer der Jagst das Geschehen. Und dann ist Ellwangen erreicht, leider hat mein Hotel heute Ruhetag und lediglich die Rezeption ist besetzt. So schlendere ich durch die Stadt, knapp 25.000 Einwohner, sehe mir die spätromanische Basilika St. Vitus an und lande später im „Gasthof Kronprinzen“. Auf der Speisekarte stehen heute Spätzle mit Linsen und Saiten, also Würstchen, dazu wird Ellwanger Rotochsenbier serviert. Es ist einfach herrlich, draußen an der frischen Luft zu speisen und sich von den Tagesstrapazen zu erholen. Später gehe ich noch ins „Rossi“ und unterhalte mich mit den Gästen, die hier regelmäßig montags ihren Stammtisch abhalten. Dabei erhalte ich zusätzlich noch wertvolle Tipps für den nächsten Tag. Der griechische Wirt spendiert zwei Schnäpse „aufs Haus“.
10.05.2016 Ellwangen bis Unterkochen 28 km
Heute werde ich auf römischen Spuren wandeln, denn dieser Tag steht weitgehend unter dem Motto „Limes“, also dem römischen Grenzwall. Wieder geht es zunächst an der Jagst entlang, am Ellwanger Campingplatz vorbei und weiter über unerhebliche Steigungen. Die Wallfahrtskirche „Unserer lieben Frau“ und das Schloss, wo selbst einmal Napoleons Bruder übernachtet hat, thronen majestätisch über der Stadt. Hinter Schrözheim informiert ein Schild über die ökologische Durchgängigkeit der Jagst. Bei Saverwang betrete ich den Ostalbkreis. Zahlreiche Dog Stations machen es möglich, dass Hundebesitzer die Hinterlassenschaften ihrer vierbeinigen Freunde immer gut entsorgen können. Zwei Reiher ruhen sich auf einer gemähten Wiese aus. In Rainau/Schwabsberg mache ich einen Abstecher zum Limestor Dalkingen. Dieses Tor ist ein einzigartiges römisches Triumphalmonument am Obergermanisch-Rätischen Limes und zählt zu dessen eindrucksvollsten Ruinen. Es wird durch einen Glaskubus vor Witterungseinflüssen geschützt.
Beim Weitergehen freue ich mich über einige Reiher und einen Storch, der auf einer einsamen Wiese auf Nahrungssuche ist. Am Bucher See verlasse ich den Kocher-Jagst-Radweg und orientiere mich weiter auf dem Deutschen Limes Radweg. Hier komme ich am ersten gelben Rapsfeld vorbei, viele weitere werden folgen. Hinter dem Ort Buch gehe ich auf einem Waldweg durch das Mahdholz und sehe mir den Nachbau eines Limesturmes an.
In Hüttlingen wundere ich mich über eine gelb-schwarze Dortmundfahne, dann führt der Weg steil hinunter und nun geht es am Kocher, ebenfalls ein Nebenfluss des Neckars, entlang. Leider haben sich dicke Wolken vor die Sonne gedrängt und auch der Weg gefällt mir nicht mehr so gut. Nachdem ich durch Wasseralfingen gegangen bin, ist die Stadt Aalen in Sichtweite. Am Eingang kündet ein Poster das am 14. Mai stattfindende Drittligaspiel Aalen vs. Werder II an. Am anderen Ende der Stadt können Besucher im „Tiefen Stollen“ das Bergarbeiterleben nachempfinden. Ein Limesmuseum ist hier ebenfalls vorhanden. Hinter Neu-Ziegelhütte geht es wieder bergaufwärts nach Unterkochen und glücklich, das Ziel erreicht zu haben, checke ich im „Läuterhäusle“ ein. Hier verbringe ich auch den Abend und stärke mich mit schwäbischen Köstlichkeiten und Aalener Kellenberg Bier.
11.05.2016 Unterkochen bis Oggenhausen 22 km
Kurz nach 8:00 Uhr mache ich mich auf den Weg, zunächst gemächlich nach Glashütte. Dort frage ich einen Schafbauern, wie ich am besten nach Ebnath komme. Er empfiehlt mir den durch einen Wald führenden früheren Römerweg. „Es geht etwas den Berg hinauf“ meint er, für mich stellt es sich anders dar, denn ich muss einige Pausen einlegen und erreiche schließlich doch schwer keuchend die Bergkuppe. Nun wandere ich ohne größere Anstrengung nach Niesitz, weiter auf der K 3033 und überquere um 9:45 Uhr die Kreisgrenze. Der Landkreis Heidenheim ist erreicht. Über Nietheim, das bereits zur Stadt Heidenheim gehört, erreiche ich Großkuchen. Ein hoher Maibaum und eine Kirche mit Zwiebelturm prägen das Dorfbild. Über kleinere Hügel orientiere ich mich dann nach Kleinkuchen, gehe auf einsamen Waldwegen, an Wiesen mit gelbem Löwenzahn vorbei, beobachte Bauern bei der Heuernte und erkenne die ersten Ähren auf den Gerstefeldern. Bis Nattheim nutze ich einen Fußweg, der parallel an der B 466 lang führt.
Das Wetter gefällt mir, ich bin gut in der Zeit und gönne mir eine Pause in der hiesigen „Adlerstube“. Fast alle Tische sind besetzt. Beim Weitergehen sehe ich ein Lokal „Zur Traube“, so heißt auch mein heutiges Hotel, ob mir bei der Planung ein Fehler unterlaufen ist? Mit mulmigem Gefühl gehe ich weiter, nur keine unnützen und unnötigen Umwege gehen. Nach vier Kilometern auf der K 3032, die auch als „Straße der Staufer“ bezeichnet wird, erreiche ich schließlich das zur Stadt Heidenheim gehörende Oggenhausen und stelle zufrieden fest, dass es auch in diesem Ort ein Hotel „Traube“ gibt.
Da meine heutige Unterkunft mittwochs ihren gastronomischen Ruhetag hat, besuche ich die ein paar Schritte entfernte Brauereigaststätte König, esse abends Sauerbraten mit Hefeknöpfle und probiere das zurzeit angebotene Maibockbier. Auch hier stehen Kutteln auf der Speisekarte, sie scheinen im Musterländle sehr populär zu sein, denn an den Abenden zuvor hätte ich diese Speise auch schon bestellen können.
12.05.2016 Oggenhausen bis Langenau 26 km
Auf dem Weg nach Giengen wundere ich mich über diverse auf Stangen befindliche Tier- und Märchenbilder, weiß aber nicht, was dieser Wegesschmuck zu bedeuten hat. Steil führt der Pfad hinunter, es ist etwas diesig und keine Menschenseele zu sehen. Viele Rapsfelder leuchten anmutig und prägen das Landschaftsbild auf sehr angenehme Weise. Hinter Hürben, einem Ort im Lonetal in der Schwäbischen Alb, gehe ich auf der K 3019 nach Bissingen und erreiche, nachdem ich auf die K 3022 gewechselt bin, den Ort Öllingen. Nun bin ich im Alb-Donau-Kreis. Alle kleineren Gemeinden empfangen den Besucher mit einem Kruzifix am Ortseingang und mit einer Zwiebelturmkirche im Zentrum. Die heutige Wanderstrecke gefällt mir, es wird etwas flacher und den Straßenverkehr nehme ich nur akustisch wahr. Außerdem lässt der angekündigte Regen auf sich warten, was mir nur recht sein kann.
Nachdem ich im „Gasthof zum Bad“ in Langenau eingecheckt bin trinke ich Kaffee im Café am Marktplatz und lasse mir dann die Haare schneiden. Im Friseursalon erhalte ich wertvolle Hinweise auf die Gestaltung des Abends und die Empfehlung, im „Goldenen Rad“ zu speisen, ist durchaus berechtigt. Später unterhalte ich mich an der Hotelbar noch sehr angeregt mit einem Engländer, der beruflich unterwegs ist. Er bietet mir an, mich morgen nach Ulm mitzunehmen, was ich aber natürlich ablehnen muss.
13.05.2016 Langenau bis Ulm 17 km
Es gießt aus allen Rohren, der Himmel hat sämtliche Schleusen geöffnet, aber was will man auch von einem Freitag, den 13., verlangen. Bevor ich mein Cape übergestreift habe, bin ich schon halb durchnässt. Aber der Weg ist das Ziel und wer lässt sich schon gern vom Wetter beeinflussen.
Nach ein paar Kilometern auf dem gut beschilderten Radweg verlasse ich Baden-Württemberg für eine kurze Zeit, betrete den schwäbischen Landkreis Neu-Ulm und befinde mich somit wieder im Freistaat Bayern. Im Schutze einer Straßenüberführung ziehe ich meine Wanderkarte aus der Tasche, orientiere mich und informiere mich über den kommenden Streckenverlauf. Die nächsten Ortschaften, Unterelchingen, Oberelchingen und Thalfingen, bilden die Gemeinde Elchingen. Geraume Zeit gehe ich parallel zur Regionalbahn. Nun muss ich das Gebirge, die Alb, wohl hinter mich gelassen haben, denn es geht glücklicherweise auf flachen Pfaden weiter. Die letzten vier Kilometer der heutigen Strecke bis Ulm gehe ich, es regnet immer noch heftig, an der Donau entlang. Nachdem ich die Ulmer Donauhalle erreicht habe, ist auch schon der hohe Turm des Münsters im Blickfeld. Eine halbe Stunde später erreiche ich den Bahnhof. Der Intercity nach Stuttgart setzt sich pünktlich in Bewegung und nur mit Mühe ergattere ich einen freien Platz, das Pfingstwochenende fordert seinen Tribut. Auch der ICE bis Hannover startet ohne Verspätung und gegen 20:00 Uhr ist Bremen erreicht. Die Feiertage mögen beginnen.
06.06.2016 Ulm bis Laupheim 26 km
Auf zur vorletzten Etappe der Wanderung durch Deutschland! Angereist bin ich wiederum am Tag zuvor, einem Sonntag. Der Zug fährt pünktlich in den Bahnhof Ulm ein, leider regnet es etwas. Das „B & B Hotel“ ist schnell erreicht, allerdings die Rezeption nicht besetzt. So marschiere ich mit vollem Gepäck ins Zentrum. Etwa 120.000 Einwohner leben in der Universitätsstadt, die einen eigenen Stadtkreis bildet und Sitz des Landratsamtes des benachbarten Alb-Donau-Kreises ist. Berühmte Persönlichkeiten erblickten in Ulm das Licht der Welt: Albert Einstein, die Geschwister Scholl und Hildegard Knef.
Wahrzeichen der Stadt ist sicherlich das gotische Münster, die größte evangelische Kirche Deutschlands. Sein über 161 Meter hoher Turm ist der höchste Kirchturm der Welt. Natürlich besichtige ich das sakrale Bauwerk, eine Turmbesteigung versage ich mir jedoch. Zum einen soll es sehr anstrengend sein, zum anderen verspricht das trübe Wetter keinen Panoramablick in die schwäbische Umgebung.
Geraume Zeit halte ich mich im idyllischen Fischerviertel auf, einem Quartier, wo im Mittelalter vorwiegend Fischer und Handwerker gewohnt haben. Es befindet sich nahe der Donau und ihrem Nebenfluss Blau und erinnert mich sehr stark an das Quartier des Tanneurs in Straßburg, im Stadtteil La Petite France. Viele der alten Hauser sind erhalten und geben der Gegend eine besondere Note. Im „Zunfthaus der Schiffleute“ verbringe ich den Abend und lasse mir ein paar schwäbische Köstlichkeiten schmecken.
Am nächsten Morgen lacht die Sonne und es scheint ein angenehmer Wandertag zu werden. Zunächst gehe ich auf den Ulmer Kuhberg, vorbei an einer Jugendfarm, und orientiere mich dann in Richtung Erbach, ohne den Ort ganz anzusteuern. Stattdessen nehme ich dann einen sehr angenehmen Wanderweg, der ein paar Kilometer durch den Naturraum Donau-Gronne-Lichternsee führt, direkt am Fluss entlang, abgeschieden von jeglichem Verkehr, man hört nur ein paar Frösche quaken und etliche Vögel singen. In Gögglingen gehe ich über eine Brücke und dann an der anderen Donauseite weiter bis Donaustetten. Hier folge ich einem Radweg bis Dellmensingen. Es macht sehr viel Freude, heute hier entlang zu wandern, warmes Wetter, Sonne, hin und wieder ein kleiner Windzug, wirklich ideale Wandervoraussetzungen. Der Weg führt durch Felder mit Korn und Mais.
In Dellmensingen mache ich es mir auf einer Bank gegenüber der gelben Dorfkirche gemütlich und greife zur Wasserflasche. Auf einem Dachgiebel hält ein Storch Ausschau und macht mit seinem Geklapper auf sich aufmerksam. Der kleine Ort Stetten wird als nächstes angepeilt und dann befinde ich mich auch schon im Landkreis Biberach. In Unterholzheim gehe ich auf einer Brücke über den kleinen Fluss Rot, der ebenfalls in die Donau fließt, und orientiere mich dann in Richtung Achstetten. Der Roggen auf den Feldern beiderseits des Weges blüht und die Farbe der Gerste wechselt bereits ins Gelbliche. Dann ist die Große Kreisstadt Laupheim, zweitgrößte Stadt im Landkreis Biberach, erreicht und zufrieden lasse ich mich auf einen Stuhl einer Cafeteria mit Außenbestuhlung fallen und erfrische mich ein wenig. Bis zum „Hotel Schützen“ ist es nicht mehr weit.
Nach angemessener Pause begebe ich zum Schloss Großlaupheim, das nunmehr als Museum fungiert, aber es hat schon geschlossen. An der Kronenbrauerei vorbei geht es zurück ins Zentrum. Da die Gastronomie meines Hotels heute ruht, suche ich mir einen lauschigen Platz vor dem „Drei Mohren“ und bestelle einen Schwabenteller mit Maultaschen und Grünen Krapfen. Auf der Speisekarte lese ich: außen Denkmal, innen traditionelle Gastronomie.
07.06.2016 Laupheim bis Ummendorf 26 km
Um acht Uhr zeigt das Thermometer bereits 18 Grad an, das kann ja heiter werden. Mein Weg führt durch den Freizeitbereich Risstal und längere Zeit an einem See vorbei. Danach habe ich eine alte Eisenbahnbrücke zu überqueren. Den Ort Obersulmetingen lasse ich rechts liegen und wandere dann auf dem Donau-Bodensee-Weg über Schemmerberg nach Schemmerhofen. Die Sonne sticht vom Himmel und das Thermometer hat die 28 Grad-Marke erreicht. Mein Weg verläuft durch Felder und Wiesen. Wie gern wäre ich jetzt durch einen schattigen Wald gegangen. Ab und zu begegnen mir oder überholen mich ein paar Radfahrer.
In Warthausen muss ich leider den angenehmen Weg verlassen und an der B 465 weiter marschieren. Doch dann ist Biberach erreicht und ich suche in der Bahnhofsstraße nach meinem Hotel, nur, ich finde es nicht. Schließlich frage ich in einem Friseurladen und bitte um Unterstützung. Hilfsbereite Damen nehmen ihr Tablet, googeln und verkünden dann bedauernd die Hiobsbotschaft, dass ich im falschen Ort bin. Meine heutige Unterkunft liegt im Stadtteil Ummendorf und bis dorthin sind es noch knapp fünf Kilometer. Ich könnte aus der Haut fahren, denn mittlerweile sind aus den 28 bereits 30 Grad geworden. Glücklicherweise liegt Ummendorf auf der Strecke und ich brauche keinen Umweg zu gehen. Eine freundliche Friseurin motiviert mich dann noch mit der Botschaft, dass ein schöner schattiger Wanderweg am Flüsschen Riß entlangführt und mir diese zusätzliche Strecke bestimmt gefallen wird. Und sie hat Recht behalten. Glücklich checke ich im Hotel „Gasthof Gaum“ ein und bestelle mir etwas zum Trinken.
Zum Abendessen gehe ich ins Bräuhaus Ummendorf, denn mein Hotel hat heute, welch Zufall, Ruhetag. Der Wetterbericht hat schwere Gewitterstürme vorhergesagt. Mittlerweile sind Wolken aufgezogen, aber es ist immer noch sehr, sehr heiß. Auf dem Rückweg kaufe ich mir noch ein paar Flaschen Wasser und verlaufe mich dann etwas. Endlich ist das Hotel erreicht, es beginnt zu grummeln und dann ist ein Gewitter mit heftigem Niederschlag auch schon in vollem Gange.
08.06.2016 Ummendorf bis Bad Waldsee 23 km
Es ist merklich kühler geworden und gleich am Ortsausgang, am Badesee, setzt der Regen ein. Ich warte etwa eine halbe Stunde im Schutze eines Daches am Eingang der Badeanstalt, aber das Wetter ändert sich nicht und so streife ich mein Cape über und mache mich auf den Weg. Den Hobbyradfahrern scheint das Wetter nicht zu behagen, denn niemand begegnet mir oder überholt mich. In Hochdorf angekommen ändert sich das Wetter geringfügig, in Unteressendorf öffnet der Himmel wieder seine Schleusen und es gießt aus allen Kübeln. Dann muss ich wohl ein Schild übersehen haben, denn ich weiß nicht mehr, welcher Straße ich nun folgen muss. Total ohne Orientierung frage ich in einer Schlachterei nach. Die freundliche Chefin bringt mich wieder auf den richtigen Weg. Ihren mitleidigen Blick werde ich sobald nicht vergessen.
Kurz vor Oberessendorf, leider wird es wieder hügeliger und die Wanderung anstrengender, komme ich an einem Stein mit folgender Erklärung vorbei: „Der Stein wurde bei Erdarbeiten 1998 in der Nähe des jetzigen Standorts entdeckt. Die Familie Ego errichtete das schmiedeeiserne Kreuz auf diesem Phorfür-Stein, der vor ca. 150.000 Jahren in der Risselszeit aus dem Ursprungsgebiet des Rheins von einem Gletscher hierher geschoben wurde.“
Auf kleinen Wegen geht es weiter über Ramstad bis Mittishaus, eine Ziege sucht mit ihren zwei kleinen Zicklein in einem überdachten Viehanhänger Schutz vor dem prasselnden Regen. Dann, in Mattenhaus, einem Ortsteil von Bad Waldsee, sehe ich ein Schild, das auf das nahe Hotel Kreuz hinweist. Überglücklich, mein Ziel so schnell erreicht zu haben, gehe ich zur Rezeption, aber meine Reservierung ist nicht zu finden. Ich bin im falschen Haus gelandet. Im Zentrum der Stadt gibt es ein Hotel gleichen Namens, aber es ist auch nur noch ein kurzes Stück zu gehen. Also weiter, rechts der Bundesstraße das Hymer-Werk, links das Hymer-Museum, dann bin ich bereits am Stadtsee und ein paar Minuten später im „Gasthof Kreuz“. Die Chefin übergibt mir den Zimmerschlüssel und reicht ein Glas Wasser zur Erfrischung, was für ein netter und aufmerksamer Service. Als ich ihr sage, dass ich morgen bis Kißlegg wandern möchte, schüttelt sie bedenklich den Kopf wegen der vermeintlich zu großen Entfernung, aber auch wegen der vielen Berge, die zwischen beiden Orten liegen. Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich.
Der Kneippkurort Bad Waldsee gefällt mir, knapp 20.000 Einwohner leben in dieser oberschwäbischen Stadt, die auch das Prädikat Moorheilbad beansprucht. Mein Hotel liegt mitten in der historischen Altstadt mit ihren sehenswerten und interessanten Gebäuden. Das gotische Rathaus und das Spital zum Heiligen Geist stechen besonders hervor. Im Touristenbüro decke ich mich mit ein paar Wanderkarten und Informationsbroschüren ein. Später, bei einer Tasse Kaffee, lese ich, dass auf der Strecke Bad Waldsee bis Wangen im Allgäu, meinem Etappenziel, eine Steigung von 469 Metern und ein Gefälle von 485 Metern zu bewältigen ist. Das kann ja heiter werden.
Diese Herausforderung bedarf einer adäquaten Stärkung und so gönne ich mir zum Abendessen im „Kreuz“ einen schwäbischen Wurstsalat. Die freundliche Kellnerin will zukünftig ein duales Touristik-Studium beginnen und ist sehr an meinen Reiseerzählungen interessiert. Ein paar Male räuspern sich die Gäste am Stammtisch und bitten darum, dass man ihnen doch auch wieder etwas Beachtung schenken möge. Das Unwetter in der letzten Woche hat dazu geführt, dass der Weinkeller des Hotels unter Wasser stand.
09.06.2016 Bad Waldsee bis Kißlegg 21 km
Heute starte ich im Hinblick auf die körperliche Herausforderung rechtzeitig und streife mein Cape gleich im Hotel über. Am Schloss und an der Ölmühle vorbei orientiere ich mich bergaufwärts und folge dem Radweg bis Neuurbach. Der Ort Volkertshaus ist an der auf einem Hügel thronenden Kirche weithin wahrnehmbar. Nachdem ich Oberurbach passiert habe geht es, vorbei an einem riesigen Feld mit Sonnenkollektoren, nach Roßberg. Hier biege ich auf einen Wanderweg und laufe auf vom Regen aufgeweichten Pfaden an breiten Pfützen vorbei durch einen Wald. Es geht hinauf und hinunter, aber als besonders anstrengend empfinde ich diese Strecke nicht – sollte aus mir ein neuer Louis Trenker geworden sein?
Der Regen hat etwas nachgelassen, als ich das kleine Dorf Gaishaus erreiche. Hinter Alttann wechsele ich wieder den Weg und laufe auf einem einsamen Waldpfad bis Wolfegg. Wäre es trocken gewesen, hätte ich mir das hier beheimatete Bauernmuseum mit seinen 15 originalen Bauernhäusern angesehen.
Nun brauche ich nur noch der K 7937 zu folgen und erblicke, nachdem ich Grünenberg passiert habe, den Obersee. Der Luftkurort Kißlegg ist erreicht. Zunächst das Strandbad, dann der Bahnhof, das zu einem Imbiss umfunktionierte alte Waaghaus, das Neue Schloss und schon ist mein Hotel in Sichtweite. Die nächste Nacht werde ich im „Gasthof Ochsen“ unterkommen.
Rund 8.600 Einwohner zählt dieser Ort im Württembergischen Allgäu, umgeben von Feldern, Wiesen und Mooren, gelegen an der Oberschwäbischen Barockstraße. Das Neue Schloss, heute ein Museum, und die Barockkirche stellen wohl die wichtigsten Sehenswürdigkeiten dar. In einer nahen Bäckerei trinke ich eine Tasse Kaffee und esse ein Stück Kuchen, den Rest des Nachmittages lese ich. Im Hinterhof meines Hotels wird eine Leinwand für Public Viewing aufgebaut, schließlich beginnt morgen die Europameisterschaft. Abends bin ich doch relativ groggy, bleibe im Haus und genieße im Hotelrestaurant leckere Ochsenbäckchen.
10.06.2016 Kißlegg bis Wangen 14 km
Beim Aufwachen traue ich meinen Augen nicht, ist das, was durchs Fenster scheint, etwa die Sonne? So ist es, frohgelaunt nehme ich meinen Rucksack und wandere los. An einigen Häusern ist ein Schild „Vorsicht Dachlawinen“ angebracht. Bis Zaisenhofen gehe ich auf einer verkehrsreichen Straße, teils auf einem Fuß- und Radweg daneben, teils direkt auf der Fahrbahn. So habe ich mir den heutigen Marsch nicht vorgestellt. Zum Glück treffe ich auf eine Radfahrerin, die sich hier gut auskennt und mir eine alternative Strecke empfiehlt. Mit Nachdruck gibt sie mir auch zu verstehen, dass ich in Wangen, meinem heutigen Ziel, unbedingt ein dunkles Bier trinken und im „Fidelisbäck“ eine Portion Leberkäse essen muss. Vorsichtshalber notiere ich mir den Namen.
Von nun an macht die Wanderung wieder Spaß. Zwar ist die Landschaft nach wie vor etwas hügelig, aber ganz und gar nicht so schwierig, wie mir in Bad Waldsee verkündet wurde. In der Ferne erkenne ich die ersten Ausläufer des deutschen und österreichischen Hochgebirges. Sein Schnee auf dem Gipfel leuchtet in der Vormittagssonne. Durch kleine Bauernschaften geht es voran, umrahmt von Wiesen und Feldern führt der Weg durch Unterhorgen und Wattenried. Ein Bauer mäht Gras auf einer Bergwiese und sein Traktor hat doch empfindlich Schlagseite. Ansonsten treffe ich auf keine Menschenseele. Die Dörfer erscheinen mir wie ausgestorben. Mein Weg führt mich dann durch Wallmusried nach Feld und weiter nach Karbach und Riehlings. In der Nähe meines Weges verläuft die A 96.
Nachdem ich an der Farny Brauerei vorbei gegangen bin führt eine malerische alte Holzbrücke über den gut 50 Kilometer langen Fluss Untere Argen. Nun ist es nicht mehr weit, Käferhofe und Oflings heißen die nächsten Ortschaften – und dann ist Wangen im Allgäu erreicht. Die letzte Etappe mag beginnen.
Bis zur Abfahrt des Zuges habe ich noch reichlich Zeit und ja auch noch einige Aufgaben zu bewältigen. Wangen, zweitgrößte Stadt im Landkreis Ravensburg, hat rund 27.000 Einwohner. Vom Bahnhof gehe ich eine Treppe hinunter und lande direkt in der Altstadt. Und sie fasziniert mich. Ihre Tore und Türme, so u. a. das Ravensburger Tor und das Sankt Martins Tor, das barocke Rathaus, die Innenstadt ist eine Augenweide. Im Touristenbüro hole ich mir Kartenmaterial für die letzte Etappe und der sehr aufmerksame und freundliche Mitarbeiter erzählt mir augenzwinkernd, dass es jetzt in Richtung Bodensee nur noch bergab gehe. Auch er meint, dass ich doch beim Fidelisbäck vorbeischauen solle, man komme sogleich mit anderen Gästen ins Gespräch. Und so geschieht es dann auch. Kurz nachdem ich meine Bestellung aufgegeben habe setzt sich ein Paar zu mir, dass heute ebenfalls in Kißlegg aufgebrochen ist, allerdings per Fahrrad. Wir unterhalten uns prächtig und dann wird es auch Zeit, zum Bahnhof zu gehen. Leider hat der ICE München – Bremen Verspätung, und in Hannover muss, keiner weiß warum, der Zug gewechselt werden. Gegen 1:00 Uhr nachts erreichen wir Bremen und Larissa hält ihr vorher am Telefon gegebenes Versprechen ein und zapft mir in der Kleinen Kneipe noch ein Glas Bier.
19.07.2016 Wangen bis Sigmarszell 18 km
Nun ist also der letzte Wandertag angebrochen. Zu meiner großen Freude begleiten mich heute Dieter und Bruder Jürgen. Wir spielen gemeinsam in einer Band. Mein Wecker ist auf 4:45 Uhr eingestellt und aus Sorge, verschlafen zu können, mache ich in der Nacht so gut wie kein Auge zu. Normalerweise bleibe ich erheblich länger im Bett. Nach etwa zehnstündiger Anreise erreichen wir gegen 15:00 Uhr Wangen, die letzte Strecke von Ravensburg legen wir mit dem Bus zurück Unterwegs fällt mir ein Werbeschild eines Handwerkers auf: „Erst sehen was sich machen lässt, dann machen was sich sehen lässt.“ Im Bahnhof decken wir uns mit Mineralwasser ein und machen uns auf den Weg.
Zunächst wandern wir auf der L 320, wechseln dann auf einen kleinen Radweg und erreichen nach kurzer Zeit den Ort Niederwangen. Auf einem abgeernteten Feld rasten fünf Reiher. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel und das Thermometer hat die 30 Grad-Marke längst übersprungen. Wir marschieren dann auf kleinen Landstraßen weiter über Hatzenweiler, Hiltensweiler und Reute bis Neuravensburg. Kurz vorher führt eine alte Holzbrücke über den Fluss Obere Argen. Vom Durst geplagt suchen wir im Ort nach einem Lokal, aber leider hat die Gastwirtschaft „Zum Fässle“ an der Bodenseestraße dienstags Ruhetag. Ein freundlicher Herr gibt uns ein paar Tipps für den weiteren Streckenverlauf und kennt auch ein Lokal im übernächsten Dorf. Leider sind wir manchmal gezwungen, direkt auf der Landstraße zu wandern, einen Fußgänger- oder Fahrradweg gibt es längst nicht durchgehend.
Am Neuravensburger Weiher vorbei geht es nach Roggenzell, links und rechts vom Weg sehen wir reife Kornfelder, die Bauern ernten an diesen Tagen ihre Wintergerste. Mais wird in dieser Gegend ebenfalls reichlich angebaut, sein Wuchs ist hier aber wohl eher, im Vergleich mit den übermannshohen Gewächsen in Norddeutschland, kläglich zu nennen. Nun halten wir uns ostwärts und erreichen den Ort Dabetsweiler. Nach wie vor sticht die Sonne und weit und breit ist kein Schatten in Sicht.
In Ruhpolz, Landkreis Lindau, betreten wir wieder den Freistaat Bayern und die Überschrift dieses Kapitels stimmt nicht mehr zu 100 Prozent. Murrend erklimmen wir einen Hügel und endlich ist Hergensweiler erreicht. An einer Tankstelle legen wir eine Pause ein und erfrischen uns. Plötzlich übermannt mich aus heiterem Himmel ein Schwächeanfall und meine Freunde meinen, ich sei ganz weiß im Gesicht. Ist es der Hitze, dem Schlafmangel oder der Wanderanstrengung geschuldet? Ich weiß es nicht. Sollte ich so kurz vor dem Ziel schlapp machen? An einer Wasserleitung kühle ich Stirn und Nacken und lasse kaltes Wasser über den Puls laufen. Und tatsächlich verbessert sich mein Zustand und wir können zum Endspurt ansetzen.
Hinter Biesings wandern wir auf einem schattigen Weg durch den Wald, erreichen Sigmarszell-Kirchdorf und steigen einen steilen Berg hinunter. Pünktlich um 19:40 Uhr überqueren wir auf einer Brücke den Grenzfluss Leiblach und betreten das Bundesland Vorarlberg. Österreich ist erreicht, Deutschland einmal zu Fuß durchwandert. Erschöpft aber glücklich fallen wir uns in die Arme.
Nachdem wir den anstrengenden und beschwerlichen Aufstieg absolviert haben, bringt uns ein Taxi nach Lindau und hier verbringen wir einen wunderschönen Abend, den keiner sobald vergessen wird. Wir haben Glück und finden einen freien Tisch direkt am Bodensee. Nach dieser Tagesstrapaze belohnen wir uns mit Felchen, Maultaschen und kühlem Grauburgunder. Das Panorama ist einmalig, der See im Lichte des Vollmondes und im Hintergrund die schneebedeckten Berge der Alpen. Am gegenüberliegenden Ufer überrascht uns noch ein Feuerwerk. Überglücklich bitte ich den Kellner um eine weitere Flasche.
Kleine Schlussbetrachtung
Grundsätzlich hat mir die Wanderung durch Deutschland sehr viel Spaß gemacht, traf ich doch in allen Bundesländern fast nur freundliche und hilfsbereite Menschen. Wenngleich manche nur ungläubig den Kopf geschüttelt haben, als sie hörten, dass ich zum angesprochenen Ziel zu Fuß möchte und eine mögliche Bus- oder Zugverbindung verschmähe. Sehr gefreut habe ich mich über Autofahrer, die, meistens bei schlechtem Wetter, Mitleid mit mir hatten und von sich aus anhielten, um mich einsteigen zu lassen.
Es hat mich erstaunt, dass der Einzelhandel aus den Dörfern verbannt wurde. In vielen kleineren Ortschaften gibt es keine Möglichkeit mehr, sich bei einer Tasse Kaffee zu erholen oder sich mit Reiseproviant einzudecken. Hin und wieder habe ich doch schmerzlich vermisst, dass es keine Gelegenheit gab, meinen Wasserbeutel zu füllen.
Gewohnt habe ich meistens in angenehmen ansässigen und traditionellen Hotels oder Gasthöfen. Dort habe ich häufig Kartenmaterial und viele wertvolle Tipps erhalten, entweder von den Betreibern oder Mitarbeitern, aber auch von den Stammgästen. Es war mir immer wichtig und eine Freude, mit der heimischen Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Und so gern ich auch italienische, spanische oder andere Restaurants besuche, unterwegs auf dieser Wanderung habe ich stets großen Wert auf regionale Kost gelegt – und natürlich auch auf Getränke aus der Umgebung.
Sehr beeindruckt bin ich von den zahlreichen liebevoll angelegten Radwegen, besonders, wenn sie an Flüssen entlang führen. Bänke zum Ausruhen sind meistens vorhanden, manchmal kleine Rastplätze, und immer in natürlicher Umgebung wunderschön gelegen.
Der krönende Abschluss in Lindau wird mir ewig in Erinnerung bleiben und ist nicht zu toppen.
Nun noch etwas Statistik: Übernachtet habe ich auf dieser Wanderung in insgesamt 31 unterschiedlichen Hotels oder Gasthöfen. In 22 Etappen wanderte ich an 53 Tagen 1153 Kilometer – und das problemlos mit einem künstlichen Knie. Die medizinische Abteilung der Bremer Rolandklinik kann stolz auf sich sein.
PS:
Wölfe oder Wildschweine sind mir nicht begegnet
Ein Video über den letzten Teil der Deutschlandwanderung kann unter
https://www.youtube.com/watch?v=L7JHhYeOEbk
bei YouTube angeschaut werden, viel Vergnügen!