Schönes Deutschland IX
Stade
Leider verhindert eine hartnäckige Erkältung ein sofortiges Losfahren. Besonders bedrückt es mich, dass ich aus diesem Grund ein lange geplantes Treffen in Hann. Münden absagen muss. Doch am 10. Juli 2024 ist alles überstanden und motiviert und gespannt fahre ich zum Bahnhof. Es ist ein schönes Gefühl, bereits alles bezahlt zu haben und nur noch einsteigen zu dürfen. Der Regionalzug fährt nach ein paar Minuten Wartezeit in den Bahnhof Bremen ein und los geht´s. Auf dieser Fahrt werden auch kleinere Bahnhöfe wie Bremen-Oberneuland oder Scheeßel bedient. In Harburg wechsele ich in die S 3 bis Hamburg-Neugraben – und dann beginnt der Ärger. Kein Hinweis, keine Durchsage, dass die Strecke der S 5 wegen Bauarbeiten nur bedingt befahren wird, schließlich entdeckt ein Reisender, der ebenfalls nach Stade möchte, den Schienenersatzverkehr. So wird die letzte Strecke halt mit dem Bus zurückgelegt, ein freundlicher junger Mann bietet mir seinen Sitzplatz an. Gemütlich fahren wir durch die norddeutschen Orte im Alten Land und in Agathenburg entdecke ich sogar ein Storchennest.
Dann ist die Hansestadt Stade, Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises, knapp 50.000 Einwohner, erreicht. Vor Jahren war ich einmal hier, aber nur ganz kurz, und sofort fasziniert. Und ich werde nicht enttäuscht werden. Das Zentrum ist schnell erreicht, am alten Postgebäude und am Zeughaus vorbei wandere ich zum Fischmarkt und bin mittendrin im Geschehen. Restaurants, Cafés und andere gastronomische Betriebe mit ihren Sommerterrassen laden zum Verweilen ein, rote Backsteinhäuser wie sie schöner nicht sein könnten bieten wunderbare Fotomotive und so suche ich mir einen Platz an der Sonne, esse ein Fischbrötchen und genieße den Blick auf den alten Hafen. Dass das Flüsschen „Schwinge“ durch Stades Innenstadt läuft war mir vorher nicht bekannt. In der St. Cosmae-Kirche lausche ich der Orgelmusik. Am Rathaus vorbei bleibe ich geraume Zeit in der Nähe einer weiteren Sehenswürdigkeit, nämlich dem Alten Kran, einem früheren Tretkran, der aber nicht mehr in Betrieb ist. Im Mittelalter war Stade einer der bedeutendsten norddeutschen Hafenstädte.
Das Wetter könnte schöner nicht sein, sonnig, nicht zu heiß, also wieder mal eine kleine Pause einlegen, den Blick auf das Wasser lenken und dabei ein Eis genießen. Den Schwedenspeicher, seit 2011 ein Museum, schaue ich mir nur von draußen an. In diesem Regionalmuseum werden archäologische und geschichtliche Exponate des Elbe-Weser-Raumes ausgestellt. Ursprünglich diente dieser Bau den schwedischen Truppen als Provianthaus. Total zufrieden schlendere ich gemütlich zum Bahnhof zurück. Hier zeigt ein Schild auf die Möglichkeit hin, mit dem Moorexpress von Bremen nach Stade zu fahren, aber dieser Turn muss natürlich extra bezahlt werden und gehört nicht zum Leistungsumfang des Deutschlandtickets. Dann geht es mit der Regionalbahn nach Harburg – und der Anschlusszug nach Bremen schließt gerade die Türen. Kein Problem, nehme ich halt den nächsten.
Braunschweig
Am nächsten Tag ist mir die Reiselust noch nicht vergangen, ich fahre bis Hannover und habe wieder das Vergnügen, dass an jedem Bahnhof angehalten wird. Mit der Westfalenbahn geht es anschließend bis Braunschweig. Die „Löwenstadt“ zählt rund 250.000 Einwohner. Auch hier war ich aus beruflichen Gründen vor Jahrzehnten, kann mich aber an rein gar nichts mehr erinnern. Mit der Straßenbahn geht es vom Bahnhof bis zum Neuen Rathaus. Nun ist es nicht mehr weit bis zum Braunschweiger Schloss, dem Nachbau des Residenzschlosses der braunschweigschen Herzöge aus dem Hause der Welfen. Heute befinden sich in den Schlossarkaden etwa 150 Shops und gastronomische Betriebe. Mit einem Ticket ausgestattet fahre ich mit dem Lift nach oben und schaue mir die eindrucksvolle Quadriga an. Mit knapp 10 Metern hoch und über 25 Tonnen schwer gilt sie als größte Quadriga Europas, Anfang dieses Jahrhundert in einer polnischen Bronzekunstgießerei hergestellt. Schutzpatronin Brunonia lenkt in einem Streitwagen ein Gespann von vier Pferden. Auch hier handelt es sich um einen Nachbau. Von der Plattform haben Besucher einen wunderbaren Blick auf die Stadt.
Das Happy Rizzi House liegt ganz in der Nähe am Rande des historischen Magniviertels. Dieses zeitgenössische Gebäude wurde vom New Yorker Künstler James Rizzi entworfen und im Jahre 2001 vom Braunschweiger Architekt Konrad Kloster umgesetzt. Die bunten Häusertürme sind leider nur von außen zu bewundern, denn drinnen befinden sich Büros.
Jetzt wird es Zeit für den Altstadtmarkt. Hier besichtige ich das Rathaus von außen, wundere mich, dass viele Bänke von Löwen als Untergestell getragen werden und gehe dann langsam zum Dom, der mit einer Sonnenuhr geschmückt ist. Dieses Wahrzeichen der Stadt wurde von Heinrich dem Löwen in Auftrag gegeben und im Jahre 1226 geweiht. Hier befindet sich auch die Grabstätte des mächtigen Welfenfürsten zusammen mit seiner zweiten Frau Mathilde. Schöne Malereien und ein siebenarmiger Leuchter schmücken das Innere der, offiziell genannt, Domkirche St. Blasil zu Braunschweig.
Eine weitere Attraktion befindet sich nur ein paar Schritte entfernt: Burg Dankwarderode. Auch dieses Wahrzeichen wurde um 1175 als Residenz nach dem Vorbild der Kaiserpfalzen von Heinrich dem Löwen in Auftrag gegeben. Auf dem Burgplatz kann der Braunschweiger Löwe bewundert werden, Heinrich der Löwe, wer sonst, ließ ihn Anfang des 12. Jahrhunderts als Wahrzeichen seiner Macht errichten. Es handelt sich nunmehr um eine Nachbildung, das Original, stolze 880 Kilo, kann in der Burg besichtigt werden. Leider nicht heute, denn aus mir nicht bekannten Gründen ist die Anlage momentan geschlossen.
Nun schlendere ich gemächlich zum Magniviertel, schaue mir die Magnikirche aus dem frühen 11. Jahrhundert an und wundere mich über Kissen und Liegestühle im Altarraum. Anschließend lasse ich mich durch dieses älteste Stadtviertel mit seinen Fachwerkhäusern, kleinen Cafes und gemütlichen Geschäften treiben. Zum Schluss steige ich wieder in die Straßenbahn und fahre zum Bürgerpark an der Oker, um mir das Schloss Richmond anzusehen. Es liegt malerisch in einem englischen Landschaftspark und ist ein wahrer Hingucker. Leider ist eine Innenbesichtigung nicht möglich, trotzdem freue ich mich, diese tolle entspannende Parkanlage kennenlernen zu dürfen. Total zufrieden warte ich auf die Straßenbahn, die mich zum Bahnhof bringen wird.
Cuxhaven
Heute, am 12. Juli, ist Starkregen angesagt. Trotzdem wage ich diesen Ausflug und, was soll ich sagen, die Wettervorhersage war rundweg falsch. Zwar lässt sich die Sonne nur hin und wieder erblicken, aber es ist zumindest trocken. Sowohl in Bremen als auch in Bremerhaven brauche ich nicht lange auf den Zug zu warten. In Cuxhaven, knapp 50.000 Einwohner, angekommen, wandere ich am Wasserturm vorbei zum Alten Fischereihafen, aber es findet kein Betrieb statt. Abgesehen von ein paar Radfahrern bin ich einziger Gast. Am ZOB steige ich in den Bus und fahre nach Duhnen. Die Fahrt gefällt mir, vorbei an der Alten Liebe, dem Fährhafen, durch Döse, oft die Nordsee im Fokus, es kommt keine Langeweile auf.
Duhnen, knapp 1.000 Einwohner, lockt mit einem imposanten langen Sandstrand, zahlreiche Bars und Fischrestaurants haben sich an der Promenade angesiedelt. Ich ziehe meine Sandalen aus und wandere durch das Wattenmeer, denn z. Zt. ist Ebbe angesagt. Nur einige der zig Strandkörbe sind besetzt, dafür ist aber reger Betrieb auf der Promenade, viele Stühle und Tische sind besetzt, dennoch finde ich ein freies Plätzchen und genieße mein Fischbrötchen und die Fischfrikadelle. Lange Schlangen haben sich vor den Imbisshäuschen gebildet. Duhnen ist Ausgangspunkt für Wattwanderungen und Kutschfahrten, so beispielsweise zur Insel Neuwerk.
Zurück in Cuxhaven steige ich bei der „Alten Liebe“, einer zweigeschossigen Aussichtsplattform am Hafen, aus und spaziere am Wasser entlang. Auch hier werben Reedereien mit ihren Angeboten, so kann man zu den Seehundbänken fahren, Helgoland besuchen, sogar Amrum, Föhr und Sylt, also nordfriesische Inseln, werden von hier angesteuert. Vor Jahren waren wir einmal nach einem Wattspaziergang nach Neuwerk mit dem Schiff zur Alten Liebe zurück gefahren. Eine frühere Kutschfahrt zurück nach Sahlenburg nach einer Nacht im Heuhotel war aber interessanter.
Während ich bei einem Apfelstrudel auf die Ankunft des Busses warte beginnt es tatsächlich ein wenig zu regnen – mich stört es nicht.
Wuppertal
Am 17. Juli geht es wieder zum Bahnhof und dann pünktlich ab nach Osnabrück, pünktlich weiter nach Münster, nur der Anschluss nach Wuppertal verspätet sich um etwa 10 Minuten. Mir war bisher nur die Schwebebahn bekannt, ansonsten habe ich keine Informationen über die Stadt mit ihren gut 350.000 Einwohnern. Im Internet erfahre ich, dass ich mich nun im wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des Bergischen Landes befinde. Beim Halt im Bahnhof Oberbarmen fallen mir gleich die mächtigen Streben, die das Fahren der Bahn ermöglichen, auf, eigentlich hätte ich hier schon aussteigen können. Sicherheitshalber fahre ich aber weiter bis zum Hauptbahnhof am Döppersberg. Und dann warte ich gespannt auf die erste Begegnung, sie lässt nicht lange auf sich warten und so mache ich mich dann auf zur ersten Fahrt. Glücklicherweise ist dieser Transport von meinem Deutschlandticket abgedeckt. Ich fahre ein paar Stationen, aber der Wagen ist sehr voll, ich habe keine gute Sicht und steige dann an der Loher Brücke aus. Bisher sind wir immer direkt über der Wupper gefahren. Auf der gut 13 Kilometer langen Strecke werden 20 Stationen bedient.
Die erste Fahrt unternahmen Kaiser Wilhelm II nebst Frau im Jahre 1900, im nächsten Jahr durfte auch das normale Volk diesen Service nutzen. Zurück fahre ich bis zur Station Ohligsmühle und wandere dann zur Historischen Stadthalle auf dem Johannisberg, einem Konzerthaus aus dem Jahre 1900. Leider sind alle Türen geschlossen und eine Innenbesichtigung ist nicht möglich. Im benachbarten „Vienna House“ einem 4-Sterne-Hotel, trinke ich eine Kleinigkeit.
In der Fußgängerzone vor dem Hauptbahnhof tobt das Leben, ich gehe weiter bis zu einem Gebäude, das ich erst für eine Kirche hielt. Es handelt sich aber um das Verwaltungshaus Elberfeld am Neumarkt. Ein schöner Brunnen erhebt sich davor. Dann wird es Zeit für eine kleine Pause und ich setze mich draußen hin und trinke einen Kaffee mit Blick auf den Neumarkt. Auf dem Rückweg komme ich am ältesten lutherischen Gotteshaus der Stadt vorbei, der Kirche am Kolk, leider ist sie auch geschlossen. Und dann beginnt das lange Warten auf die Abfahrt des Zuges, einige Strecken waren gestrichen und mit 90-minütiger Verspätung verlasse ich Wuppertal, verpasse natürlich auch die Anschlusszüge in Münster und Osnabrück, aber auch die ICE nach Hamburg und Berlin haben Probleme und starten mit reichlicher Verspätung.
Am nächsten Morgen fahre ich wieder mit der Straßenbahn zum Bremer Hauptbahnhof. Zwar hatte ich im Radio gehört, dass es Stellwerkprobleme gibt, aber in meiner DB-App wird der von mir favorisierte Zug nach Norddeich noch angezeigt. Im Bahnhof angekommen erlebe ich nur noch Chaos, lange Schlangen vor den Infoschaltern, aber an vielen Ecken versuchen zusätzliche Mitarbeiter, den Reisenden Auskunft zu geben, mir wird ein Schienenersatzverkehr über Delmenhorst angeboten. Dann warte ich doch lieber ein paar Tage, bis das Problem behoben ist.
Norddeich
Heute, am Samstag dem 20. Juli, lacht die Sonne wieder vom Himmel, also schnell ab zum Bahnhof. Über Oldenburg, Leer und Emden braucht der Zug über zwei Stunden bis zum Ziel. Quengelnde Kinder verhindern eine behagliche Reise, denn heute sitze ich im Spielwagen für den Nachwuchs.
In Norddeich angekommen suche ich zunächst meine Sonnencreme und dann geht es an den Strand. Und hier ist was los! Hunderte von Sonnenhungrigen spielen oder suhlen sich im Watt, die meisten Strandkörbe sind belegt und vor dem Verkaufsstand für Fischbrötchen bilden sich lange Schlangen. Einige Gäste lassen kunstvoll ihre Drachen steigen. Die Gastronomie boomt und alle Plätze unter einem Sonnenschirm sind besetzt. Glücklicherweise erhasche ich doch einen freien Stuhl und gönne mir ein Fischbrötchen, später noch ein leckeres Eis. Von einem Aussichtsturm hat man einen fantastischen Blick über die gesamte Anlage. Liebespaare haben hier ihre berühmten Schlösser befestigt. Zufrieden lasse ich mich zum Bahnhof treiben, der Zug startet pünktlich und in Marienhafe erfreut uns eine alte Windmühle.
Goslar
Am 25. ist wieder gutes Wetter angesagt, also ab zum Bahnhof. Leider verpasse ich den Anschlusszug in Hannover und muss eine knappe Stunde warten. Ein randalierender Mann wird gerade vom Sicherheitspersonal festgenommen. Bei der Weiterfahrt freue ich mich über eine schöne Aussicht auf die Marienburg. Vor knapp 50 Jahren hatte ich Goslar einmal besucht, kann mich aber nicht mehr erinnern.
Die Stadt, gut 50.000 Einwohner, liegt inmitten einer wunderschönen Natur am Rande des Harzes und nimmt mich sofort in ihren Bann. Im Jahre 922 gegründet wurde Goslar, auch Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises, zu einem bedeutenden Machtsitz des Heiligen Römischen Reiches. Entscheidend für die Stadtentwicklung war der Bergbau, aber auch die Zugehörigkeit zur Hanse.
Beim Verlassen des Bahnhofs bin ich sofort begeistert, Fachwerkhäuser, es soll über 1.500 geben, bestimmen das Stadtbild. Zunächst schaue ich mir die Neuwerkkirche an, danach die Jakobikirche und wundere mich, gegenüber ein bekanntes Firmenlogo zu finden: VC Goslar. Begeistert bin ich vom Schuhhof, dem ältesten Platz der Stadt. Er wird von stattlichen Fachwerkhäusern umrahmt und viele Gäste sitzen mit einem kühlen Getränk davor und lassen die tolle Silhouette auf sich einwirken. Kein Wunder, dass die Altstadt aber auch das Erzbergwerk Rammelsberg zum UNESCO Weltkulturerbe zählen.
Der mittelalterliche Marktplatz mit dem Marktbrunnen, gekrönt vom Goslarer Adler, einem Wahrzeichen der Stadt, der Kaiserworth, der Marktkirche mit den ungleichen Türmen und dem Rathaus ist eine Attraktion. Kaufleute ließen ihr Gildehaus, die Kaiserworth, im Jahre 1494 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus bauen. Als wohlhabendste und einflussreichste Bürger demonstrierten sie mit diesem Bau ihre Stärke. Ein paar Schritte weiter kann das Bäckergildehaus mit dem wunderschönen Erker bewundert werden. Nicht weit davon erhebt sich das 1521 erbaute Brusttuch und gilt als eines der schönsten Patrizierhäuser Goslars.
Hier steige ich in einen Bus und fahre zum Rammelsberg. Das Erzbergwerk wurde nach über 1.000 Jahren nahezu ununterbrochenen Bergbaus im Jahre 1988 stillgelegt. Nachdem ich ein Ticket erworben habe, nimmt uns ein „Steiger“ in weißer Kleidung und mit Helm mit „Glück auf“ in Empfang und erklärt die Waschanlage und die Kleiderkammer. Jeder Kumpel hat sich hier umgezogen und anschließend wurde die Bekleidung an die Decke gezogen. Dann fahren wir mit der Grubenbahn etwa 500 Meter in den Stollen hinein und erhalten Informationen über einen typischen Bergmannstag. So schauen wir beim „Anbeißen“ zu, dem Frühstück vor Schichtbeginn, und erfahren dann, wie gebohrt, gesprengt und geladen wurde. Mit reichlich Wissen ausgestattet fahren wir dann mit der Grubenbahn zurück, ich bleibe noch etwas hier und schaue mir die Requisiten und Bilder im Museum an. Vor dem Eingang ist ein eine Tonne schwerer Erzbrocken zu sehen, insgesamt sind davon zehn über die Stadt verteilt. Jeder dieser Kolosse symbolisiert ein Jahrhundert des Bergbaus, der Handabdruck die harte Arbeit.
Auf der Rückfahrt bin ich einziger Gast im Bus, steige bei der Kaiserpfalz aus und schaue mir zunächst die Domvorhalle, den Rest der Stiftskirche St. Simon und St. Judas, an und wandere dann im warmen Licht der Nachmittagssonne zum ebenfalls zum Weltkulturerbe gehörenden Kaiserhaus. Hier wurde in über 200 Jahren auf Reichsversammlungen und Hoftagen deutsche Geschichte geschrieben. Da demnächst geschlossen wird verzichte ich zähneknirschend auf eine Innenbesichtigung. Total zufrieden mit dem Tag mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof, diese Fahrt hat sich gelohnt!
Leer
Für den nächsten Tag verheißt die Wettervorhersage heftige Regenschauer, dennoch wage ich die Fahrt nach Leer, denn hier war ich noch nie zuvor. In der Kreisstadt leben rund 35.000 Menschen. Kurz vor der Stadt stellt sich ein Storch auf einer Wiese in Pose. Es regnet, als wir in den Bahnhof einfahren, aber nur noch ein paar Minuten – und meinen Schirm habe ich den ganzen Tag über im Rucksack lassen können.
Am Zollhaus vorbei orientiere ich mich in Richtung Innenstadt, hole mir bei der Tourist Info einen Stadtplan und wandere dann am Freizeithafen entlang zur Altstadt. Leer gefällt mir, Leda und Ems vermitteln ein maritimes Flair, hübsche Giebelhäuser schmücken das historische Zentrum, kleine Läden, Teestuben und eine gemütliche Gastronomie strahlen eine entspannte Gemütlichkeit aus. Im Hafen dümpelt das historische Dampfschiff „Prinz Heinrich“, das älteste Seebäderschiff Deutschlands. Und dann erkenne ich eine Teetrinkerin als Statue und konstatiere: jetzt bin ich im Zentrum des ostfriesischen Tees angekommen. Im Bünting Coloniale gönne ich mir ein Kännchen und erfahre von der aufmerksamen Bedienung, wie das Getränk hier zu sich genommen wird. Gleich in der Nähe, zwei Häuser weiter, besichtige ich das Bünting-Teemuseum. Hier wird der Anbau in den Ursprungsländern dargestellt, Herstellungsverfahren werden gezeigt und zum Schluss erhalte ich noch eine Tasse Tee auf Kosten des Hauses.
An einigen Kirchen vorbei erreiche ich die Altstadt und stehe vor dem wohl bekanntesten Bauwerk der Stadt, nämlich vor dem 1894 erbauten historischen Rathaus. Gegenüber kann man sich in der Alten Waage stärken. Das 1714 im niederländischen Barock errichtete Gebäude beherbergt heute ein Restaurant. Begeistert bin ich von der Fassade des Haus Samson. Im Erdgeschoss befindet sich eine Weinhandlung, im 1. Stock ein Museum.
Dann wird es Zeit für ein Fischbrötchen, frisch zubereitet und sehr lecker, aber auch etwas preiswerter als in Norddeich. Die Freundlichkeit der Einheimischen spricht mich sehr an, häufig werde ich mit einem „Moin“ begrüßt. Etliche Schiffe und Boote sind im Museumshafen hinter der Alten Waage zu besichtigen, aber auch zwei Statuen, eine ähnelt der „kleinen Meerjungfrau“ in Kopenhagen. Mit dem Bus fahre ich dann als fast einziger Gast zu meinem letzten Ziel des Tages, dem Wasserschloss Evenburg. Leider fehlt mir auch heute die Zeit für eine Innenbesichtigung. Eine Dauerausstellung bringt den Gästen das 19. Jahrhundert näher. Aber auch von außen ist dieses Kulturdenkmal, das sich fotogen im Wasser spiegelt, einen Abstecher wert, über Jahrhunderte gehörte es den Grafen von Wedel. Das Gebäude ist von einem wunderschönen Park umgeben. Ein Hochzeitspaar nutzt diese Idylle für ein paar Erinnerungsbilder. Dann geht es gemütlich mit dem Bus zum Bahnhof und ein paar Minuten später setzt sich der Direktzug auch schon in Bewegung.
Bad Harzburg
Den heutigen Tag, 31. Juli, werde ich immer mit langem Warten in Erinnerung behalten, doch der Reihe nach. Im Bremer Bahnhof warte ich etwa eine Viertelstunde auf die Abfahrt des Zuges, in Hannover habe ich Glück, der Erixx nach Bad Harzburg hat wegen einer Baustelle etwas Verspätung und ich erreiche ihn noch, obwohl wir die niedersächsische Hauptstadt zehn Minuten später als angezeigt erreichen. Schuld ist eine polizeiliche Maßnahme in Nienburg. Etwa in der Höhe von Verden kam eine Zugdurchsage mit der Aufforderung, möglich anwesende Polizisten mögen sich doch in den Wagen 3 begeben.
In Bad Harzburg, gut 20.000 Einwohner, orientiere ich mich gleich in Richtung Burgberg, der Weg ist für Spaziergänger jedoch nicht gut ausgeschildert, so laufe ich eine ganze Zeit neben einer viel befahrenen Straße. Ein freundlicher Autofahrer, den ich nach dem Weg frage, hat dasselbe Ziel und nimmt mich mit. Nach Erwerb des Tickets für die 1929 gebaute Seilbahn muss ich über eine Stunde warten, bis die Fahrt beginnt. Heute scheint jeder auf den 480 Meter hohen Berg zu wollen.
Oben angekommen sehe ich mir die Reste der Harzburg an und erfahre bei der Statue vom Sachsengott Krodo, dass es sich bei dieser Figur um eine Nachbildung aus dem Jahre 2007 handelt. Ende des 8. Jahrhunderts versuchten Christen die hier lebenden Sachsen zum christlichen Glauben zu bekehren und dann hat eine Götzenfigur auf dem Berg nichts zu suchen. Auf zahlreichen Wanderwegen, oft mit sagenhafter Aussicht, kann dieser schöne Teil des Harzes erkundet werden.
Mein nächstes Ziel ist die Baumschwebebahn, aber auch hier warte ich über eine halbe Stunde, bis ich endlich an der Reihe bin. Und dann beginnt das Abenteuer. Mit etwa 15 km/h gleite ich über 1.000 Meter den Berg hinunter, werde mit einem phantastischen Blick auf die Umgebung, auch auf den Brocken, belohnt und genieße die Drehung und den Spaß gerade bei den Biegungen. Gut, dass ich rechtzeitig von dieser Möglichkeit gelesen habe.
Unten angekommen geht es auf dem Baumwipfelpfad weiter, allerdings habe ich beim Eingang etwas Ärger mit dem Scannen des Tickets. Also wähle ich den Notruf und mir wird geöffnet. Ein barrierefreier Weg erstreckt sich rund einen Kilometer über den Baumspitzen und 50 Erlebniselemente informieren über die Botanik, die Umwelt, Natur und Geschichte der Region, bieten akustische Spielchen an oder laden einfach zur Ruhe ein. Eine Kiepenfrau oder die Abenteuerbrücke bieten ein schönes Fotomotiv, aber auch der Hochseilpark Skyrope, wo tatsächlich ein paar Mutige in den Seilen hängen.
Auf dem Weg zum Bahnhof gehe ich jetzt über die Bummelallee, wo zahlreiche Eisdielen, Bistros, Restaurants und andere Gastronomen auf Kundschaft warten. Viele Tische an der frischen Luft sind besetzt und auch ich gönne mir hier eine Pause. Es gefällt mir gut in der Altstadt, das Flüsschen Radau, ein Nebenfluss der Oker, plätschert dahin, Bäume zu beiden Seiten des Weges sorgen für Schatten. Wäre ich doch bloß gleich hier entlanggegangen. Rübezahl, eine Skulptur im Zentrum, dokumentiert die Harzer Verbindung mit den Schlesiern, die Kurgastdame mit Esel erinnert daran, dass die Kurgäste vor 1929 mit einem Esel auf den Berg geritten sind. Brunnen sorgen für eine nette Atmosphäre, es regnet ein klein wenig, als ich den nicht sehr wirtlichen Bahnhof erreiche. Hier scheint eine Renovierung im Gange zu sein. Zufrieden steige ich in den Zug.
Ein Video über diese Reisen kann bei YouTube unter
https://youtu.be/5QO1uUlGD7o
angesehen werden. Viel Spaß dabei!