La Bretagne
Auf nach Concarneau
Eigentlich wollte ich auf kürzestem Weg nach Concarneau. Da Dupin im aktuellen Roman aber den ersten Einsatz in Douarnenez hat, soll dieses Städtchen auch mein nächstes Ziel sein. Pünktlich um 12:15 Uhr erreiche ich bei strömendem Regen das Finistère, das westlichste kontinentale Département Frankreichs. Die Bezeichnung ist den Römern zu verdanken, denn sie nannten die Gegend auf der Spitze der bretonischen Halbinsel Finis Terrae, also Ende der Welt. Auch im genannten Buch wird dieser Begriff hinreichend erklärt. Douarnenez verfügt über den sechstgrößten Fischereihafen Frankreichs und die knapp 15.000 Einwohner leben in erster Linie von der Fischverarbeitung. Nachdem ich die Brücke über den Fluss Pouldavid-Ästuars, der hier in den Atlantik mündet, überquert habe, orientiere ich mich in Richtung Hafen und halte mich hier eine Weile auf. Die nahe sagenumwobene Insel Tristan ist gut zu erkennen.
Einen weiteren Mord hat es auf der Île de Sein gegeben und Dupin musste auf der Überfahrt sehr leiden. Dann möchte ich doch wenigstens einen Blick auf die Insel werfen und orientiere mich westwärts über das Cap Sizun und fahre über Pont-Croix und Plogoff nach Lecoff zum Pointe du Raz. Seine schroffen Klippen sind über 70 Meter hoch. Hier könnte die Welt wirklich zu Ende sein. Auch dieser Punkt scheint sich bei Reisenden einer großen Beliebtheit zu erfreuen. Es ist weiterhin diesig und von daher mir unmöglich, die acht Kilometer entfernte Île zu erkennen, ich kann sie bestenfalls erahnen. Erkennen kann ich bei dieser Witterung nur einen der beiden auf kleinen Inselchen befindlichen Leuchttürme. Nach einem kurzen Spaziergang verabschiede ich mich von der Pointe und fahre ein Stückchen zurück zur Baie des Trépassés, einer kleinen Bucht mit Sandstrand und Kiesbänken, und genehmige mir ein Crêpe.
Am späten Nachmittag erreiche ich Concarneau, in bretonischer Sprache Konk-Kerne, und suche das „Hotel Modern“. Die Stadt, knapp 20.000 Einwohner, gilt als drittgrößter Fischereihafen Frankreichs, bei Thunfisch nimmt sie sogar den Spitzenplatz ein. Demnach ist Fischfang neben dem Fremdenverkehr größte Erwerbsquelle. Meine Hotelchefin empfängt mich überaus freundlich und liebenswürdig, sie spricht nur ein paar Brocken Englisch, dafür kennt sie aber den berühmten Kommissar und hat sogar schon zwei Romane mit ihm als Protagonisten gelesen. Sie händigt mir einen Stadtplan aus, markiert die wichtigsten Punkte und vergisst auch nicht, mir zu erklären, wo ich das Restaurant L´Amiral finden kann.
Beschwingt und erwartungsvoll beginne ich die Stadterkundung. Ein paar Schritte bin ich erst gegangen, als ich das Haus erblicke, in dem sich das Polizeipräsidium befindet, hier also arbeitet Dupin, hierhin wurde er aus Paris strafversetzt. Auch in Concarneau gibt es die Ville close, eine von dicken Mauern umschlossene und von Wasser umgebene Altstadt. Innerhalb der Festung sieht man die üblichen touristischen Angebote, Restaurants, Bistros, Cafés und Souvenirläden. Sie befinden sich überwiegend in alten Granithäusern aus dem 16. Jahrhundert. Am Eingang unterhält ein Quartett auf alten Instrumenten mit bretonischer Musik. Wegen des starken Andrangs verlasse ich die Altstadt, gehe ein wenig herum, erblicke ein Lokal, und will es nicht glauben: Ich stehe vor dem L´Amiral, dem Lieblingsrestaurant von Kommissar Dupin. Das hat ja bestens geklappt. Auf der Terrasse ergattere ich einen freien Platz und bestelle einen Pastis und ein Glas Cidre. Dann greife ich zum Buch und gebe mich der gemütlichen Lektüre hin. An den Nachbartischen sitzen mehrere deutsche Gäste. Bevor ich das Lokal verlasse, reserviere ich noch einen Tisch für den nächsten Tag.
Abends gehe ich noch einmal zur nahen Ville close und lausche einem Konzert, danach nehme ich Platz im „La Croisiere“ und bestelle als Hauptspeise „aile de raie“. Im Übersetzungsprogramm auf meinem Handy finde ich keine Hilfe, aber die freundliche und findige junge Kellnerin zeichnet mir die Speise auf und ich konstatiere, dass es sich um einen Rochenflügel handeln muss. Es schmeckt jedenfalls sehr gut und dass der Chef zum Schluss noch einen Digestiv ausgibt ist mir auch recht. Den Abend lasse ich im „Le Chalut“ ausklingen. Der Wirt vom „Schleppnetz“, ein paar Meter von meinem Hotel entfernt, spricht zwar nur etwas Englisch, ist aber sehr um eine Unterhaltung bemüht. Ich habe irgendwie den Eindruck, dass die Menschen in diesem Teil der Bretagne freundlicher sind als im Norden.
Am nächsten Tag bleibt mein Auto komplett auf dem Parkplatz. Langsam schlendere ich durch die Stadt, wundere mich über die zahlreichen Crêperien, gehe noch einmal durch die nun nicht so stark frequentierte Ville close und mache dann einen ausgedehnten Spaziergang am Meer entlang. Die zahlreichen Sandstrände, die Plages, sind nur dürftig belegt und lediglich ein paar mutige Schwimmer wagen einen Sprung ins kühle Nass. Auch heute lässt sich die Sonne nicht blicken, trotzdem halte ich mich lieber draußen an der frischen Luft auf und kann mich nicht aufraffen, ein Museum aufzusuchen. Dabei wären das Marinarium am Strand oder das Musée de la Pêche, also das Fischereimuseum in der Ville close, durchaus eine Option.
Nun ist also der spannende Abend angebrochen und erwartungsvoll nehme ich meinen reservierten Platz im L´Amiral ein. Es ist relativ gut besucht und ich höre von einigen Nebentischen auch deutsche Stimmen. Selbstverständlich bestelle ich als Hauptspeise das Lieblingsgericht des berühmten Kommissars, nämlich das Entrecôte, das auf der Speisekarte auch als „Entrecôte de commissaire Dupin“ angeboten wird. Die Portion ist gewaltig und es schmeckt sehr gut. Jetzt kann ich gut nachvollziehen, warum es den Polizisten nach einem harten Arbeitstag hierher zieht – und bis zum Kommissariat sind ja auch nur ein paar Hundert Meter zurückzulegen. Auch heute beende ich den Tag im Chalut und unterhalte mich mit Lisette, die mit ihrem kleinen Hund unterwegs ist. Später gesellt sich noch ein Paar aus London zu uns.