La Bretagne
St-Malo und Umgebung
Nun bin ich also in dem Teil von Frankreich angekommen, der für seinen Cidre, dem Apfelwein, für seine Pfannkuchen, den Crêpes, bekannt ist, für seine schroffen Küsten, das wilde Meer, die einmaligen Austern und die verträumten Hafenstädte, in der Welt des Kommissar Dupin – oder am Ende der Welt. Doch dazu später. Die Bretagne oder das Bretonische ist keltisch geprägt. Man merkt es an der Sprache, aber auch an der Bauweise. Während des Niedergangs des Weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert n. Chr. kamen viele christianisierte Waliser und so genannte Inselkelten in die Bretagne.
Mein bereits vor einigen Tagen gebuchtes „Hotel Port-Malo“ liegt in der Altstadt, der Ville close oder Intra-Muros, inmitten dicker trutziger Festungsmauern. Etwa eine halbe Stunde fahre ich durch die engen und von Touristen bevölkerten Gassen, bis ich auf eine freundliche Polizistin treffe, die mir empfiehlt, mein Auto in der nahen Parkgarage unterzustellen. Trotz Navigationsgerät habe ich keine Möglichkeit gefunden, näher an das Hotel heran zu kommen, Einbahnstraßen und Sperrpoller lassen es nicht zu. Durch die Porte St-Vincent betrete ich die Altstadt und finde auch gleich das Hotel. Ein freundlicher Mitarbeiter erklärt mir auf Englisch das Notwendigste, Autor Bannalec oder seine Romane sind ihm ebenfalls nicht bekannt. Dann quäle ich mich mit meiner Reisetasche eine enge Treppe hinauf in den 4. Stock und belege mein kleines aber gemütliches Zimmer.
Es ist bedeckt und die Sonne wird sich auch an den nächsten vier Tagen nicht zeigen, schade, denn das gerade für diese Region bekannte Wechselspiel zwischen grauem Himmel und strahlendem Sonnenschein hätte ich gern noch einmal erlebt, dazu das blaue Meer und das einmalige bretonische Licht, auf das in den Romanen immer wieder hingewiesen wird. Wenigstens fällt die Temperatur tagsüber nicht unter 20 Grad.
Auch St-Malo, über 40.000 Einwohner, ist ein begehrter und viel besuchter Touristenort Frankreichs, außerdem bedeutendster Hafen an der bretonischen Nordküste. Die meisten Gäste halten sich im historischen Stadtkern auf, strömen durch die romantischen Gassen, belegen einen Platz in einer der zahlreichen Bars und statten den Souvenirläden einen Besuch ab. Mein Weg führt zunächst zum Château, in dem das Rathaus und ein Museum untergebracht sind. Dann wandere ich, wie wohl die meisten Stadtbesucher auch, über die Festungsmauer. Die Wehranlage, erbaut vom 12. bis 14. Jahrhundert, musste später noch einmal erneuert werden. Nach dem Besuch der Cathédrale St-Vincent wird es Zeit für den ersten Cidre. Im Lion d´Or am Place Chateaubriand finde ich einen freien Tisch, bestelle das Getränk und hole mein Buch heraus. Mal sehen, mit welchem Fall M. Dupin gerade beschäftigt ist.
Abends finde ich einen Platz im „La Bisquine“ und bestelle als Vorspeise eine Assiette de fruits de mer und dazu eine Flasche Muscadet. Auf dem Vorspeisenteller freue ich mich über drei Austern, einige bulots (Wellhornschnecken), bigorneaux (Strandschnecken, die wie kleine Perlen aussehen), Langusten und Garnelen. Der freundliche Kellner ist mir behilflich und zeigt mir, welches Werkzeug ich für bestimmte Meeresfrüchte benutzen sollte.
Später nehme ich noch einen Drink in der Hotelbar und treffe auf Patrick. Er wohnt in München, hat in England studiert und arbeitet in einem Museum. Er meint, dass nicht nur Kommissar Dupin in Concarneau seiner kriminalistischen Arbeit nachgeht, sondern dass Maigret hier im Buch „Maigret und der gelbe Hund“ ebenfalls ermitteln musste. Und er hat Recht, wie ich Tage später zu Hause feststellen werde. Es erstaunt mich sehr, dass sich die Gäste hier, wie in früherer Zeit, unterhalten und nicht mit ihren Handys kommunizieren.
Am nächsten Morgen habe ich Probleme mit dem WLAN, aber eine freundliche Hotelmitarbeiterin schnappt sich ihr Notebook und gemeinsam schaffen wir es, für mich die nächste Unterkunft zu buchen. Zufrieden steige ich dann noch einmal auf die Stadtmauer, gehe anschließend zum Strand und habe einen schönen Blick auf eine Festung, auf das Fort de petit Bé von Vauban. Viele Kinder sind unterwegs, es scheint sich um Schulklassen zu handeln. Und das während der Sommerferien?
Cancale ist berühmt für seine 400 Hektar Austernbänke, der Ort liegt nicht weit von St-Malo entfernt in östlicher Richtung. Gestern auf der Herfahrt hatte ich schon einige Hinweisschilder gesehen. Also mache ich mich mit dem Auto auf den Weg und fahre direkt zum Hafen. Aber alle Parkplätze sind belegt, schließlich finde ich am Ortsausgang doch noch einen, und sogar kostenfrei. Cancale liegt malerisch in einer felsigen Bucht. Es herrscht Flut und somit ist von der Austernzucht natürlich nichts zu erkennen. An der kleinen Hafenstraße reihen sich Restaurant an Restaurant und nur mit Mühe finde ich einen freien Tisch. Am Horizont ist der Mont St-Michel zu erkennen. Selbstverständlich probiere ich die hier heimischen frischen Meeresfrüchte und werde auch nicht enttäuscht. Über den Verzehr und Genuss der Austern gibt es ja verschiedene Ansichten und Theorien. Werden sie nun gekaut oder nur geschlürft? Beträufelt man sie mit Zitronensaft? Die junge Kellnerin stellt mir zusätzlich noch einen kleinen Teller mit Zwiebeln in Öl hin und rät mir, das Tier mit einer Gabel von der Schale zu lösen und zusammen mit etwas Zitrone und den Zwiebeln zu genießen. Mir hat es gut geschmeckt.
Côte de Granit Rose heißt mein zweites heutiges Ziel, leider etwa 170 Kilometer entfernt. Vielleicht hätte ich doch lieber nur eine Nacht in St-Malo gebucht, dann könnte ich mir den Rückweg sparen. Auf gut befahrbaren Nationalstraßen komme ich rasch voran, hin und wieder regnet es. Mittlerweile sind die Ortsschilder zweisprachig beschriftet, in Französisch und auch in Bretonisch. Besagter Küstenabschnitt in der nördlichen Bretagne, zwischen den Orten Paimpol und Trébeurden gelegen, ist wegen seiner bizarren Felsformationen aus rotem Granit ein angesagter Touristenmagnet in dieser Region. Gegen Abend erreiche ich Perros-Guirec, fahre zum Plage de Testraou, einem feinen Sandstrand und suche den Sentier des Douaniers, den Zöllnerpfad. Dieser Spazierweg wird im Reiseführer empfohlen wegen der Aussicht auf beeindruckende Felsformationen, die zu den schönsten in der Bretagne zählen sollen. Es ist relativ ruhig als ich die Wanderung beginne, nur hin und wieder kommt mir jemand entgegen, wahrscheinlich wegen des unbeständigen Wetters. Aber der Weg lohnt sich und noch lange werde ich an diese bizarren Felskonstruktionen denken, die u. a. Namen wie Château du Diable (Teufelsschloss) führen. Jetzt bedaure ich doch sehr, dass die liebe Sonne ihren Dienst eingestellt hat, denn unter anderen Umständen hätte mich dieser Spaziergang noch mehr fasziniert.
Zurück in St-Malo halte ich mich wieder in der Altstadt auf, esse eine Kleinigkeit und schaue den zahlreichen Gauklern und Zauberern, die abends auf den Plätzen ihr Können zeigen, zu. Den Passanten scheint es, wie ich dem Beifall entnehme, sehr zu gefallen. Nun noch ein Absacker in der Hotelbar, auch Patrick ist wieder zugegen, und dann geht es ins Bett, um noch ein wenig im Roman zu schmökern.