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die beiden Frauen haben mich bestens versorgt

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Spaß im Abteil

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Silvester in Lemberg

zum Jahresausklang nach Lwiw und Kiew

Weiterfahrt nach Kiew

Mein Zug Nr. 076 erscheint schon auf der Anzeigetafel. Es ist relativ kühl und so bleibe ich lieber im warmen Bahnhofsgebäude und gehe erst ein paar Minuten vor Einfahrt des Zuges auf den Bahnsteig, doch er verspätet sich ein paar Minuten. Mein Wagen Nr. 8 steht am anderen Ende und so eile ich hin, gebe dem Schaffner meine Fahrkarte und suche meinen Platz Nr. 17. Marina, eine junge hübsche und gut Englisch sprechende Frau aus Kiew ist mir beim Verstauen meines Koffers behilflich. Sie ist mit ihrem Mann und ein paar Freunden schon seit etwa drei Stunden unterwegs. Auf die Minute genau setzt sich der Zug in Bewegung. Kaum dass ich sitze wird mir schon die erste Dose Bier gereicht. Ina, die andere Frau aus dem Nachbarabteil, schmiert derweil Salamibrote und reicht mir eins. Dazu gehört natürlich ein ordentlicher Schluck Wodka, im anderen Glas erhalte ich etwas Orangensaft und gleich danach ein weiteres Weißbrot mit Salami. Dann winke ich dankend ab, ich will meinen Mitreisenden nicht die ganze Verpflegung aufessen.

Etwa vier Wodkarundenspäter sind das Weißbrot und die Salami aufgezehrt, Marina begibt sich zu ihrer Reisetasche und zaubert einen weiteren Proviantbeutel hervor. Als nächstes muss ich Salo (cãлo), die ukrainische Nationalspeise, probieren. Sie packt einen Beutel Schwarzbrot aus, ein ellenlanges Stück weißen Bauchspeck und Senf und macht mir ein Brot zurecht. Es schmeckt köstlich und verlangt nach einer Zugabe, und natürlich auch nach weiteren Gläsern Wodka. Bei Salo handelt es sich um einen in Salz, Pfeffer, Kümmel, Knoblauch oder Paprika gereiften Schweinespeck.

Später wird mir Marina erklären, dass ihr Vorname häufig in ihrem Land vorkommt, ich hatte bisher gedacht, er sei in Italien gebräuchlich. Und dann, wer hätte das zu Beginn der Fahrt gedacht, singe ich ihr wodkaselig Rocco Granata’s Gassenhauer „Marina“ vor. Mittlerweile sind wir Facebook-Freunde. Immer wieder erscheinen Bekannte aus den Nachbarabteilen, trinken einen Wodka mit oder nehmen an der Unterhaltung teil. Einer der Männer ist Taxifahrer und der Meinung, ich als Westeuropäer sollte in Kiew nicht in ein beliebiges Bahnhofstaxi steigen, sondern er würde mir ein Auto bestellen und dafür sorgen, dass ich in das richtige Fahrzeug steige, ansonsten könnte es teuer werden. Da ich nur noch 100 UAH als Barreserve habe, bestellt er einen Fahrer, der auch Kreditkarten akzeptiert. Um dem Gelage einen Moment zu umgehen, stelle ich mich im Gang ans Fenster und lasse die weiße Winterlandschaft an mir vorbeirauschen.

Ina arbeitet in der Führungsetage eines größeren Unternehmens, Marina ist mit dem Vertrieb pharmazeutischer Produkte selbständig, was ihr Mann beruflich tut habe ich nicht richtig verstanden. Nach diesen vielen Beweisen der Gastfreundschaft ärgere ich mich total, dass ich mich nicht revanchieren kann. Hätte ich diese Begegnung auch nur geahnt, hätte ich vielleicht ein paar Tüten Kekse oder eine Flasche Wein oder Wodka beigesteuert. Aber in meinem Rucksack befinden sich nur zwei Bananen und ein Stück Kuchen vom Frühstücksbuffet.

Meine Nachbarn haben alles dabei, Besteck, Mülltüten, Salz- und Pfeffer, Mineralwasser, verschiedene Säfte, Bier und, wie berichtet, Wodka. Ich bin glücklich, in diese Gesellschaft geraten zu sein – und das nicht wegen der Getränke. Vier Minuten vor der angegebenen Ankunftszeit fahren wir in den Bahnhof Kiew hinein, schnappen unsere Gepäckstücke und begeben uns zum wartenden Taxi. Nach einer herzlichen Verabschiedung fahren wir los und ein paar Minuten später ist das Hotel „ibis Kiew City Center“ erreicht, auf dem Taxameter werden 80 UAH angezeigt. Glücklich ob dieser interessanten Erlebnisse drücke ich dem verdutzten Fahrer meinen letzten Schein in die Hand, checke ein, belege mein Zimmer im 15. Stock und eile in die Hotelbar. Nun bin ich also in der ukrainischen Hauptstadt. Was für ein Tag!

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