Minsk und St. Petersburg
Minsk
Um 4.00 Uhr morgens klingelt der Wecker. Im Wetterbericht wurden Schneeregen und Straßenglätte vorhergesagt, aber die Autobahn nach Hamburg ist frei und gut befahrbar und ich habe überhaupt keine Probleme, rechtzeitig am Flughafen anzukommen.
Der Flug nach Warschau dauert 80 Minuten, nur jeder dritte Platz ist, warum auch immer, belegt. Hat es in Deutschland noch geregnet, so empfängt mich die polnische Hauptstadt in hellem Sonnenschein. Nach kurzer Pause geht es weiter und knapp eine Stunde später lande ich in der weißrussischen Metropole.
Ein Video über diese Reise kann bei YouTube unter
https://www.youtube.com/watch?v=1km0lesARew
angesehen werden.
Auch in Minsk strahlt die Sonne vom Himmel, die Temperaturen bewegen sich kurz unter dem Nullpunkt. Wegen der Zeitumstellung ist es hier schon eine Stunde später. Die Formalitäten wie Einladung, Visum und Hotelbuchung wurden von Sicher-Reisen, München, in gewohnter Qualität erledigt. Als Orientierungshilfe dient mir "Weißrussland entdecken" aus dem Trescher-Verlag, denn einen aktuellen Reiseführer nur über die Stadt habe ich nicht gefunden.
Bei der Einreise gibt es keine Probleme, sie geht relativ zügig vonstatten und bereits ein paar Minuten später tausche ich an einem Bankschalter. Für 50 Euro erhalte ich 143.000 weißrussische Rubel (BRB). Angeblich fährt ein Bus im Stundentakt vom Flughafen in die Innenstadt, aber wen ich auch frage, niemand versteht mich oder will mich verstehen. Ein Taxifahrer reicht mir sein Handy und mit der Frau am anderen Ende handele ich auf Englisch den Preis von 50 auf 30 Euro herunter. Ich denke, die Gebühr ist o.k., schließlich beträgt die Entfernung bis zum Hotel rund 40 Kilometer.
Die Fahrt gefällt mir. Auf breiten Straßen geht es an großen Wäldern vorbei, Heldendenkmäler stehen weithin sichtbar auf einem kleinen Hügel. Am Stadteingang sticht die futuristisch anmutende Bibliothek ins Auge.
Das "Yubileynaya" liegt zentral am Masherova Prospekt. Ich belege ein Zimmer im 5. Stock und habe eine wunderbare Sicht auf die angrenzende Parkanlage, den Obelisken und den Fluss Svislac oder Swisslotsch. An der Rezeption höre ich, dass noch keine Zugfahrkarte für die Weiterfahrt hinterlegt wurde, aber sie würden sich darum kümmern.
Im letzten Licht der Nachmittagssonne beginne ich die Stadterkundung. Viele Menschen sind auf den breiten Bürgersteigen unterwegs, die jungen Frauen in den bis über die Knie reichenden hochhackigen Stiefeln mit Pfennigabsatz sind mir nachhaltig in Erinnerung. Kinos, Cafés, kleine Geschäfte, Spielcasinos und Bürohäuser bestimmen die eine Seite des Prospekts, gegenüber befinden sich der Sportpalast und eine große Eislaufbahn.
Gleich hinter der Metrostation "Njamiha" erhebt sich die Heilig-Geist-Kirche auf einer kleinen Anhöhe, einige Gläubige beten im schönen Innenraum. Weitere Kirchen bzw. Kathedralen befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Der "Zentrale Platz" wird mit einem hohen Tannenbaum geschmückt. Im Mittelpunkt steht der klotzige Palast der Republik, daneben das Theater und das Museum des Großen Vaterländischen Krieges. An die andere Straßenseite kommt man am besten durch den Fußgängertunnel, in dem sich u. a. eine Theaterkasse befindet, aber auch Stände mit Blumen, Zeitschriften und CDs sind hier anzutreffen. Musiker bitten um eine kleine Spende, manchmal auch Bettler.
Zum Abendessen besuche ich ein Restaurant im Stadtteil Traeckaer Vorort oder Troizker Vorstadt auf der anderen Flussseite. Viele Gebäude wurden nach dem Krieg wieder originalgetreu aufgebaut. Das Lokal ist gut besucht und ein künstlicher Weihnachtsbaum vermittelt vorweihnachtliche Atmosphäre. In der 1. Etage findet eine Hochzeitsfeier statt. Ich esse Geflügel und trinke einheimisches Bier dazu, es schmeckt ganz gut.
Anschließend schlendere ich durch die Gegend, sehe mir die Kapelle zum Gedenken an die Opfer von Kriegen und später die Künstler auf der offenen, nur von einem Dachgerüst bedeckten, Eissporthalle an. Ein riesiges Gedränge herrscht sowohl auf dem Eis als auch vor dem Kassenhäuschen. Andere Jugendliche stehen am Fluss und mixen sich ihr Freitagabend-Getränk.
Die Empfangsfrau im Hotel berichtet mir stolz und freudestrahlend, dass mittlerweile auch das Zugticket abgegeben wurde, toller Service. Auf dem Weg in die Bar kommen mir Natascha und Christina entgegen. Sie sind "nachtaktiv" und unterbreiten entsprechende Angebote. Nachdem sie merken, dass ihr Werben bei mir keinen Erfolg verspricht, fragen Sie, ob ich denn wenigstens 10 Euro für eine Flasche Sekt übrig hätte. Gesagt, getan, und so unterhalten wir uns in den nächsten Stunden angeregt und ich erfahre viele Details über das Leben in Weißrussland. Sie sprechen leidlich Englisch und Christina sogar etwas Deutsch, können sich aber gar nicht vorstellen, dass ich das Land als Tourist und nicht aus beruflichen Gründen besuche.
Minsk liegt am Zusammenfluss der Flüsse Svislac und Njamiha, auch Nemiga genannt. Die Hauptstadt von Belarus zählt knapp 1,8 Mio. Einwohner und ist das wirtschaftliche, kulturelle, politische und wissenschaftliche Zentrum des Landes. Große Plätze und breite Straßen beherrschen das Stadtbild. Im 2. Weltkrieg wurde Minsk fast total zerstört.
Am nächsten Morgen zeigt das Thermometer wieder einige Minusgrade an, aber herrlicher Sonnenschein lässt die Stadt erneut in einem ganz bestimmten Licht erstrahlen. Ich marschiere durch die weitläufigen Parkanlagen, sehe mir den Obelisken an, statte dem Traeckaer Vorort noch einen Besuch ab und bewundere die Eistänzer. Am Zentralen Platz trinke ich einen Kaffee in einem der zahlreichen Lokale, McDonalds lasse ich links liegen.
Soldaten bewachen den mächtigen Präsidentenpalast, ein sowjetischer Panzer das Haus der Offiziere. Ein kleiner Park bildet einen guten Kontrast zu diesen trutzigen Bauten. Auf dem Weg zurück zum Hotel besuche ich noch den Wochen- bzw. Weihnachtsmarkt am Flussufer.
Ein Taxi bringt mich zum Bahnhof. Die nur mit kyrillischen Buchstaben geschriebenen Angaben auf der riesigen Fahrplantafel verwirren mich etwas und ich frage einen jungen Milizsoldaten. Er schaut auf meine Fahrkarte und geleitet mich dann zur richtigen Plattform. Später verstehe ich das System und hätte den passenden Ausgang eigentlich selber finden müssen. Der Zug aus Brest fährt pünktlich ein und nun kann ich meinen Wagen nicht finden. Wieder ist mir ein freundlicher Mann in Uniform behilflich und glücklich lasse ich mich auf meinem reservierten Sitz nieder. Meine Abteilnachbarin verabschiedet sich tränenreich von ihren Eltern.
Da nur Nachtzüge zwischen Minsk und St. Petersburg verkehren, wollte ich ursprünglich ein Flugzeug für diese Strecke nehmen. Der Direktflug wurde aber von Belavia kurzfristig storniert und mir stattdessen eine Verbindung über Moskau angeboten. Später erfahre ich, dass ein Aufpreis von knapp 100 Euro erhoben werden soll und beschließe dann, doch mit der Eisenbahn zu fahren. Wichtig ist nur, dass ich eine Verbindung wähle, die nach 0.00 Uhr die Grenze erreicht, da mein Russland-Visum vorher noch nicht gültig ist. Die Wagen dieses Zuges sind alter sowjetischer Bauart und wurden mir nicht unbedingt empfohlen, aber ich habe diese Fahrt nicht eine Sekunde bereut, im Gegenteil, es folgen Stunden, an die ich noch oft und lange zurückdenken werde.
Unser Abteil besteht aus vier Liegen, wird aber nur von Larissa und mir belegt. Meine Mitreisende spricht etwas Englisch und wir unterhalten uns den ganzen Abend prächtig. Sie arbeitet an einer Schule in St. Petersburg und besucht ihre Eltern in Minsk zweimal im Jahr. Zum Abendbrot schenkt sie mir einen Apfel aus ihres Vaters Garten. Eigentlich wollte ich den Abend im Speisewagen verbringen, aber jetzt ist kein Gedanke mehr daran. Die Zugbegleiterin erfreut uns mit einer Tasse Tee.
Larissa erzählt mir viele Dinge über das Leben in Minsk, sie spricht die wirtschaftlichen Probleme des Landes und auch die Verarmung der Mehrheit der weißrussischen Bürger an. Auch erfahre ich von ihr, dass demnächst in Weißrussland wieder zwei Weihnachtsfeste vor der Tür stehen. Die Christen und Orthodoxen feiern an unterschiedlichen Terminen.
Aber natürlich verstärkt sie auch mit Informationen über St. Petersburg meine Vorfreude. Ich kann gar nicht glauben, dass der Zug die Grenze nach Russland ohne Kontrolle passiert und dass wir bei der Einreise nicht geweckt werden.
Am nächsten Morgen schaue ich aus dem Fenster und könnte jubeln, Russland liegt unter einer dicken Schneedecke, weiße Pracht, soweit das Auge sehen kann. Nach knapp 14 Stunden fährt der Zug in den Vitebsker Bahnhof ein, wir sind am Ziel.