Interessante niederländische Städte entdecken
Delft
Das Fahren auf niederländischen Autobahnen ist ein Genuss, von 6:00 bis 19:00 Uhr gilt 100 km/h als Höchstgeschwindigkeit, danach 120. Hin und wieder sehe ich von Bauern hingestellte Protestbanner „ZONDER BOEREN GEEN ETEN“ oder „GEEN BOEREN GEEN ETEN“, denn diese Berufsgruppe hat wegen der hohen Nitratbelastung im Boden Stress mit der Regierung. Erschrocken stelle ich fest, dass der Sprit hier über 30 Cent teuerer ist als bei uns, hoffentlich reicht meine Tankfüllung. Bis auf einen Stau infolge einer Baustelle komme ich zügig vorwärts und am frühen Nachmittag ist Delft erreicht, rund 435 Kilometer sind geschafft und nach dem Einchecken im „The Student Hotel Delft“, direkt und zentral neben dem Bahnhof gelegen, fahre ich ins Parkhaus am Prinsenhof und stelle mein Auto ab.
Das Wetter, jetzt Ende Juli 2022, ist herrlich und beschwingt mache ich mich auf den Weg. Vor etwa einem halben Jahr sah ich einen Reisebericht über Rotterdam im Fernsehen und erkannte quasi gar nichts wieder, aber mein letzter Besuch dieser bedeutenden Hafenstadt liegt auch mehr als 40 Jahre zurück. Bekannte meinten dann, ich solle doch lieber in Delft übernachten, schließlich liegt diese Stadt nur 10 bis 15 Minuten Bahnfahrt entfernt, und für diesen Tipp bin ich sehr dankbar, denn Delft besuche ich erstmalig und bin von Anfang an fasziniert. Immer wieder meine ich, aufgrund der Häuser, Grachten und Brücken in einer kleineren Ausgabe von Amsterdam zu sein. Die Stadt, rund 100.000 Einwohner, ist im positiven Sinne lebhaft, glänzt mit historischen Plätzen und romantischen Höfen, mit einer interessanten Gastronomie direkt am Wasser, ist weltbekannt als Produktionsstandort der weiß-blauen Fliesen und Kacheln und war Heimat des zu den niederländischen Meistern zählenden Malers Jan Vermeer, dem „Meister des Lichts“.
Nach ein paar Minuten Spaziergang sehe ich den Beginenturm und eine alte Windmühle, gehe dann entlang der Singelgracht und schon ist das Zentrum erreicht. Bei schlechterem Wetter hätte ich sicherlich das Museum Prinsenhof, in einem alten Kloster gelegen, besucht, aber mich hält es doch lieber an der frischen Luft und so wandere ich an der Gracht Oude Delft entlang und schon liegt die Oude Kerk vor mir, später werde ich sie mir von innen ansehen. Beeindruckt bin ich vom, ebenfalls an der Gracht liegenden, Gemeenlandshuis aus dem Jahre 1505, heute beherbergt es eine Sammlung alter Karten. Die Delfter Keramikkunst macht selbst vor den Straßenlaternen nicht halt, ihre Masten bestehen aus weiß-blauem Porzellan.
Der Markt ist voll von Verkaufsständen, Käse, Fisch, natürlich auch der junge Hering, Obst, Gemüse, es gibt nichts, was es hier nicht gibt. Von der Nieuwe Kerk am anderen Ende kann ich nur den Turm erkennen. Im Rathaus gegenüber findet gerade eine Trauung statt, dahinter erkenne ich die Waag aus dem Jahre 1770, in der sich heute ein Café befindet. Auch das Vermeerhuis liegt am Markt. Das Ticket für die Besichtigung der Nieuwe Kerk berechtigt auch den Besuch der „Alten Kirche“. In der „Neuen Kirche, einer spätgotischen Basilika und Grabeskirche des Hauses Nassau-Oranien, ruhen die niederländischen Königinnen und Könige, auch Prinz Claus wurde hier beigesetzt. Absoluter Blickfang ist das Prunkgrab von Willhelm dem Schweiger (Willem van Oranje), der 1584 in Delft ermordet wurde. Einen Aufstieg auf den 108 Meter hohen Turm versage ich mir, es ist einfach zu heiß.
Nun sehe ich mir noch das älteste Gotteshaus der Stadt an, nämlich die Oude Kerk, wunderschön an der Gracht Oude Delft gelegen. Zahlreiche berühmte Delfter Bürger wurden hier beerdigt, so auch Jan Vermeer. Der 75 Meter hohe Westturm „Oude Jan“ gilt als das Markenzeichen dieser Kirche. Nachdem ich in einem der zahlreichen Gartenlokale am Beestenmarkt eine kleine Erfrischung genommen habe, setze ich mich draußen auf die Terrasse des Brauhauses und stärke mich mit Bitterballen, einer hier typischen Speise bestehend aus frittierten Fleischkroketten, gefüllt mit einem Ragout aus Rind- oder Kalbfleischmasse. Beim Verzehr des hier gebrauten Bieres laufe ich wenigstens nicht Gefahr, versehentlich ein Heineken zu bestellen. Nun noch ein kleiner Absacker in der Hotelbar und ein erlebnisreicher Tag neigt sich dem Ende zu. An der Duschkabine in meinem Badezimmer mahnt ein Schild, wo ein Eisbär abgebildet ist, mit dem Wasser sorgsam umzugehen: Long showers feel nice – but leaves bear on thin ice.
Rotterdam
Eine Mitarbeiterin ist mir behilflich, als ich Probleme habe, ein Zugticket am Automaten zu erwerben, Fahrkartenschalter sind Schnee von gestern. Sauber, sauber, so kenne ich die Bahnhöfe in Deutschland nicht. Ein paar Minuten später bin ich einer von wenigen Gästen im Abteil, alle steigen in Rotterdam Centraal aus, ich fahre als einziger weiter bis Rotterdam Blaak, man hatte es mir im Hotel so empfohlen. Jedenfalls denke ich das, doch an der Station „Blaak“ drücke und drücke ich, aber keine Tür öffnet sich und der Zug fährt weiter bis zur Endstation Dordrecht. Nun heißt es Brille aufsetzen und jetzt erkenne ich, dass der goldene Knopf die Tür öffnet und nicht der grüne. In Dordrecht schaffe ich es tatsächlich, die Pforte öffnet sich, ich stürze hinaus und sehe, dass der Zug gegenüber zurück nach Rotterdam fährt, aber die Trittbretter sind schon hoch gezogen. Ein Zugbegleiter hat mich wohl beobachtet, öffnet die Tür und bittet mich hinein – so etwas habe ich noch nicht erlebt und meine Ehrfurcht in die niederländische Bahn steigt immens.
In Blaak verlasse ich den Zug und schon habe ich mein erstes Ziel erreicht: Blaakse Bos, ein Wald aus Baumhäusern, direkt am Bahnhof gelegen. Bilder dieser Siedlung wurden im genannten Film gezeigt und waren einer der Hauptmotivatoren, Rotterdam (über 600.000 Einwohner) einen Besuch abzustatten. Neugierig betrete ich die Anlage, die auf einer Seite vom Wohnturm „Het Potlood“ (der Bleistift) begrenzt wird, auf der anderen Seite hat man einen schönen Blick auf den alten Hafen. Die meisten der 38 Wohnkuben sind bewohnt, aber es gibt auch einen Schaukubus (Kijk Kubus), den ich selbstverständlich nach Entrichtung einer kleinen Eintrittsgebühr, auch besichtige. Und die Erkundung der mehrstöckigen Wohnung ist eindrucksvoll, so gibt es Wohn-, Schlaf-, Arbeitszimmer und eine kleine Küche, wuselig und total gemütlich und anheimelnd. Hier könnte ich es aushalten.
Auch heute zeigt sich Petrus wieder von seiner besten Seite und mir steht nicht der Sinn, in eines der zahlreichen Museen zu gehen. An der Markthalle mit der wunderbaren Eingangsfront vorbei gehe ich zur St. Laurenskerk, die mir von früher doch noch bekannt vorkommt. Die spätgotische Kreuzbasilika wird von hölzernen bemalten Tonnengewölben überdacht, Seehelden wurden in der Kirche begraben. Das auch Grote Kerk genannte Gotteshaus wurde im Krieg nicht vollständig zerstört und gilt als der einzige mittelalterliche Überrest der Stadt. Auf dem Kirchhof steht der Humanist Erasmus von Rotterdam, ein Sohn der Stadt, als Bronzestatue.
Weiter geht es entlang der Hoogstraat zum Boersplein, der Börse, jetzt Boers World Trade Center Rotterdam. Auch hier scheint es Probleme mit der Rekrutierung neuer Mitarbeiter, wie auch in Deutschland, zu geben, denn häufig weisen Aufsteller mit der Aufschrift „Wij zoeken Collega´s“ auf diesen Zustand hin. Etwas weiter informieren Schilder, dass ab diesem Punkt Alkoholgenuss verboten ist. Nachdem ich mir noch das Schielandshuis, unten Café, oben Büros, ´mit dem schönen Vorgarten angesehen habe, steuere ich meinem nächsten Ziel, dem Euromast, entgegen und komme dabei an der Kunsthalle, der Kunsthal, vorbei. Insgesamt bin ich begeistert über so viel Innovation und den Mut, moderner Architektur Raum zu geben, ein Bau der Libeskindtürme, in Bremen nicht durchsetzbar, wäre hier sicherlich nicht am Widerstand gescheitert.
Nun ist der 185 Meter hohe Euromast erreicht. Mit dem Lift fahre ich auf die erste Aussichtsterrasse, höher geht es heute, aus Gründen, die ich nicht verstanden habe, nicht. Trotzdem genieße ich die Aussicht, erkenne die Erasmusbrücke und bin ergriffen von der Stadt und dem Land unter mir. Von hier schweift mein Blick über einen der größten Häfen der Welt, schließlich reichen die Kais über 40 Kilometer bis Hoek van Holland. Zufrieden gehe ich zum Bahnhof zurück und fahre nach Delft, mit dem Öffnen der Zugtür habe ich keine Probleme. Das Abendessen nehme ich draußen beim „Oude Jan“ am Brouwplein ein und verbringe die restliche Zeit in der Hotelbar, wo mir die Preise heute sehr günstig erscheinen.
Utrecht
Knapp 50 Kilometer trennen Utrecht von Delft, mein Hotel „Holland Lodge“ liegt am Stadtrand, verfügt aber über einen kostenlosen Parkplatz. Schmunzelnd nehme ich zur Kenntnis, dass auf dem Kopfkissen nicht nur ein Leckerli, sondern auch ein Kondom liegt. Nun bin ich also in der mit knapp 330.000 Einwohnern viertgrößten Stadt der Niederlande angekommen, in der Universitäts- und Bischofsstadt Utrecht. Bis ins Zentrum benötige ich zu Fuß über eine Viertelstunde, bin dann aber wieder angetan von den reizvollen Stadtkanälen, besonders von der Oude Gracht, von den schönen Giebelhäusern und der interessanten Außengastronomie, die, wie ich abends feststellen werde, fast bis auf den letzten Platz besetzt ist.
Vor einem Bäckerladen mit Blick auf eine der zahlreichen Wasserstraßen setze ich mich hin zum Frühstücken, ungefragt wird mir eine Flasche Leitungswasser gereicht, welch schöne Geste! Bezahlen kann ich hier allerdings nur mit Karte, hatte dies aber auch schon vorher auf der Reise erlebt. Gesättigt beginne ich meine Stadterkundung.
Bis zum Wahrzeichen von Utrecht, dem 112 Meter hohen Turm des Doms, brauche ich nur ein paar Minuten., bin dann aber etwas enttäuscht, denn er ist von Gerüsten umgeben und von daher nicht zu erkennen. Das Mittelschiff wurde von einem Orkan zerstört und besteht heute nur noch aus Grabplatten. Das Querschiff mit Chor blieb erhalten und ich schaue es mir an, der Altarraum wird beherrscht vom Prachtgrab des Admirals van Gendt, die turmlose St. Janskerk sehe ich mir nur von außen an. Im Reiseführer lese ich, dass der Dom das Zentrum des aus Kirchen gebildeten Kreuzes darstellt. Auch die Universität kann vom Platz aus betreten werden, ein Schild weist auf fünf Museen hin, aber auch heute halte ich mich lieber draußen auf und erfreue mich am schönen Wetter.
Zu Fuß gehe ich zurück ins Hotel, lege eine Lesepause ein und fahre noch einmal mit dem Bus ins Zentrum, schreite noch einmal durch den Domturmdurchgang und kümmere mich dann um einen Außenplatz zum Abendessen. Auch hier sehe ich ab und zu so genannte „Stolpersteine“, die informieren, dass hier ein Jude gewohnt hat und sein Leben lassen musste. Radfahrer können ihren Drahtesel auf einem bewachten Parkplatz abstellen. Mein Hotelier meinte, dass in der Nähe seines Hauses, beim Einkaufzentrum, genügend Lokale zu finden sind, deshalb fahre ich rechtzeitig zurück, doch dann die Überraschung: Es existiert zwar eine gastronomische Szene, allerdings aus Dönerrestaurants, eine Gaststätte oder Bar finde ich nicht. So kaufe ich mir eine Flasche Wein und verbringe den Samstagabend lesend auf der Hotelterrasse.
Am nächsten Morgen hat das Wetter umgeschlagen, es regnet in Strömen, aber es stört mich nicht. Eine letzte Pause lege ich in „Klein Venedig“ ein, nämlich im von Grachten, die früher dem Torftransport dienten, durchzogenen Ort Giethoorn. Malerische schilfgedeckte Häuser prägen das Dorfbild. Bei besserem Wetter hätte ich vielleicht an einer Bootsfahrt teilgenommen. Stattdessen frühstücke ich in Elly´s Beach Bistro und gönne mir einen Uitsmijter met ham, einen Strammen Max. Die andere Spezialität, Frikandel speciaal, auf die ich mich bei jeder Holland-Reise freue, hatte ich schon am zweiten Abend probiert. Gestärkt geht es heimwärts.
Ein Video über diese Reise steht bei Youtube unter
https://youtu.be/FAC5yUqsmOg
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