Vilnius und Kurische Nehrung
Zur Kurischen Nehrung
Nach einem ordentlichen Hotelfrühstück warten wir auf die Übergabe des Autos. Pünktlich um 10.00 Uhr steht der fast fabrikneue Ford Fiesta vor der Tür und die Fahrt kann beginnen.
Auf gut ausgebauten Fernstraßen orientieren wir uns zunächst in Richtung Kaunas. Hinweisschilder weisen auf Abfahrten nach Minsk, Riga oder Königsberg hin.
In der Nähe von Raseiniai verlassen wir die Hauptstraße und fahren in den Ort hinein. Leider hat es angefangen zu regnen. Bei der Mariä-Himmelfahrtskirche des früheren Dominikanerklosters suchen wir uns einen Parkplatz und betreten den Hof. Aber alle Türen sind verschlossen und so bleibt uns nur eine Besichtigung der Außenanlage.
Auf kleinen Wegen geht es weiter und nicht alle sind geteert. Wir fühlen uns an das Deutschland der 50er Jahre erinnert. Ab und zu ein Holzhaus, hin und wieder ein kleines Dorf, ansonsten sehen wir nur zumeist abgeerntete Felder. Hier hat das „Moderne“ noch nicht Einzug gehalten. Nur wenige Menschen oder Fahrzeuge begegnen uns, einige Ortschaften scheinen fast ausgestorben zu sein, aber das mag auch am schlechten Wetter liegen, denn der Regen hört gar nicht mehr auf. Einmal haben wir Glück und erkennen einen Bauern beim Pflügen mit dem Pferd, später begegnet uns ein Panjewagen, ebenfalls von einem Pferd gezogen. Die Natur scheint noch in Ordnung zu sein, denn auffällig viele Storchennester sind auf Bäumen oder Strommasten zu erkennen. Ein einsamer Fuchs läuft unmittelbar neben uns über das Feld.
Gegen Abend erreichen wir Palanga und fahren direkt an die Ostsee. Ein kilometerlanger Strand liegt vor uns. Wir sind die einzigen Gäste und lauschen andächtig dem Wellenschlag. Bei einbrechender Dunkelheit kommen wir in Klaipėda, dem ehemaligen Memel, an und checken im „Amberton Hotel“ ein. Hier hatten wir auch beim letzten Besuch der Stadt gewohnt. Karin und Werner belegen ein Zimmer im neuen K-Center, und zwar im 15. Stock, während ich mein Gepäck im alten Trakt abstelle. Kurz darauf treffen wir uns in der Bar in der 20. Etage und genießen die Aussicht auf das Haff, die Nehrung und die Ostsee. Dieser einmalige und beneidenswerte Blick ist meinen Mitreisenden erfreulicherweise auch von ihrem Zimmer aus vergönnt.
Obwohl es draußen sehr ungemütlich ist, kühl und regnerisch, machen wir dennoch einen kleinen Spaziergang und steuern den Theaterplatz an. Vor dem Alten Theater nämlich können das Standbild „Ännchen von Tharau“ und der „Simon-Dach-Brunnen“ bewundert werden. Ganz in der Nähe finden wir ein ansprechendes Restaurant und lassen hier den Tag entspannt ausklingen.
Der Frühstücksraum im Neubau ist am nächsten Morgen leicht zu finden, denn ein auf den Fußboden aufgeklebter „roter Faden“ zeigt den Weg zum Restaurant, aber auch zum Parkhaus. Weniger leicht zu finden ist der Fährhafen, denn mein Navi kann den angepeilten Ort Nida auf der Kurischen Nehrung nicht finden. Aber auch das Problem ist nach kurzer Zeit gelöst und auf einer Autofähre überqueren wir das Haff. Ein paar Minuten später ist die bekannte Landzunge erreicht. Nach dem Bezahlen einer Eintrittsgebühr für den Besuch des Nationalparks setzen wir uns gemächlich in Bewegung. Zwar können wir uns nicht über ein helles Sonnenwetter erfreuen, aber im Vergleich zu gestern ist es wenigstens trocken.
Auffällig auf der Strecke sind die zahlreichen Hinweisschilder auf Fußgänger, aber auch die Warntafeln für Wildwechsel. Ein Elch ist uns leider nicht begegnet, dafür sehen wir aber häufig von Wildschweinen aufgewühlten Boden. In Juodkrantė, auch unter Schwarzort bekannt, halten wir an und erfreuen uns an den farbenprächtigen Holzhäusern. Dieses mit 720 Einwohnern zweitgrößte Dorf auf der Nehrung war früher als mondäner Kurort weltberühmt. In südlicher Richtung geht es weiter und nach einigen Minuten weist eine Holzskulptur auf den Hexenberg hin. Wir halten an und besteigen den kleinen Hügel, auf dem ein Märchenpfad mit etwa 100 Hexen, Teufeln und anderen bizarren Figuren aus Holz angelegt wurde. Manche davon dienen als Schaukel.
Auch heute haben wir die Ostsee exklusiv für uns. Außer ein paar Vögeln ist niemand am weißen Strand zu erkennen, der bis zum Horizont reicht. Unsere Suche nach kostbarem Bernstein wird leider nicht mit Erfolg belohnt. Jetzt sind nur noch ein paar Kilometer zurückzulegen, bis wir Nida oder Nidden, den mit 1.550 Einwohnern größten, aber wohl auch schönsten und beliebtesten Ort der Nehrung, erreichen. Nun trennen uns nur noch drei Kilometer bis zur russischen Grenze. Es ist offensichtlich keine Saison, denn alle Souvenirgeschäfte haben geschlossen und auch die Straßengastronomie, die ich wegen der leckeren Fischspezialitäten in sehr guter Erinnerung habe, hat Winterpause. Auf dem Weg zur Parnidder Düne, die wir auf gar keinen Fall versäumen möchten, kommen wir an kleinen bunten pittoresken Holzhäusern vorbei. Nida strahlt eine entspannte Ruhe aus, wir sind die einzigen Fußgänger und werden auch nicht durch andere Fahrzeuge gestört. Gleich hinter einem Kiefernwald erhebt sich die 52 Meter hohe weiße Düne, die manchmal auch ostpreußische Sahara genannt wird. 170 Treppenstufen später haben wir den Gipfel erreicht und blicken auf das Haff, auf hellen Sand, auf Russland und die Ostsee. Eine 14 Meter hohe Sonnenuhr erweist sich als beliebtes Fotomotiv. Trotz des trüben Wetters sind wir begeistert und freuen uns über diesen einmaligen Ausblick.
Bei der Kurischen Nehrung handelt es sich um einen 98 Kilometer langen Landstreifen bzw. um eine Halbinsel aus purem Sand, die von Klaipėda bis Lesnoi reicht und das Kurische Haff von der Ostsee trennt. 52 Kilometer gehören zu Litauen und 46 Kilometer zur Kaliningrader Oblast, also zu Russland. Die Breite des Landstrichs bewegt sich zwischen 380 Metern und 3,8 Kilometern. Auf russischer Seite ist die Nehrung touristisch weniger erschlossen. Im Jahr 1999 hatte ich das Vergnügen, diesen Teil der Halbinsel zu bereisen. Beide Seiten gehören zum UNESCO-Welterbe. Im Reiseführer wird Wilhelm von Humboldt folgendermaßen zitiert: „Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, dass man sie gesehen haben muss, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll“.
Zufrieden mit dem Gesehenen begeben wir uns auf den Heimweg. Es dunkelt bereits und so entschließen wir uns, ohne große Abstecher nach Vilnius zurückzufahren. Ist es anfangs noch etwas neblig, so fängt es auf halber Strecke an zu schneien und je näher wir der Hauptstadt kommen, desto dichter ist das Land unter einer Schneedecke versteckt. In Vilnius angekommen, orientieren wir uns an den Schildern „Stotis“, übersetzt Bahnhof, denn unser Hotel liegt ganz in der Nähe und mein Navi kann mit der eingegebenen Straßenbezeichnung nichts anfangen. Gut, dass Karin sich an diesen Hinweis erinnert. So erreichen wir zeitnah und problemlos unser Hotel, geben erleichtert das Auto ab und belegen die Zimmer.
Den Abend verbringen wir wieder im „Amatininku Uzeiga“ und sind wiederum zufrieden mit dem Angebot aus Küche und Keller. Unsere Kellnerin versteckt ihren Charme anfangs, taut aber im Laufe des Abends immer mehr auf. Zur Feier des Tages bestellen wir einen litauischen Wodka.
Der nächste Tag steht zur freien Verfügung. Ein Blick aus dem Hotelfenster wird mit einer Aussicht auf eine märchenhafte Winterlandschaft belohnt. Wir spazieren langsam durch die Stadt, shoppen oder setzen uns mit einem Buch in eines der vielen Cafés. Abends erobern wir ein neues Restaurant in einer Seitenstraße, das "Holy Miko´s oder Mykolo 4", und geben fast unser gesamtes litauisches Geld aus.
10 Lt. stecken noch im Portemonnaie und reichen aber nur für einen Wodka. Wortlos nimmt die freundliche Kellnerin den letzten Schein in Empfang und überrascht uns mit zwei gefüllten Gläsern. Sie hat ihren Job verstanden. Nach einem Absacker in unserer „Stammkneipe“ geht es ins Hotel zurück. Auf zur letzten Nacht in Vilnius.