Von Varna bis Jalta
Rumänien
Auf rumänischer Seite haben wir freie Sicht, weite Ebene bis zum Horizont. Die Verkehrs- und Ortsschilder sind wieder lesbar, endlich keine kyrillische Schrift mehr, die rumänische Sprache hat Ähnlichkeit mit der französischen.
Wir fahren durch Mangalia und hier stehen mindestens vier Hochzeitspaare vor einem Standesamt.
Kurz vor 19.oo Uhr sind wir am Ziel und zusammen mit Antoine und Diyan verlasse ich an einer Straße in der Nähe des Bahnhofs den Bus. Weit und breit ist kein Taxi zu sehen und so steuern wir ein Hotel an, um eine Grundorientierung zu erlangen. Antoine ist mit einem Freund im Hotel "Tineretului" verabredet, Diyan will sich dort, welch Zufall, mit einer Bekannten treffen. Als ich erfahre, dass das von mir avisierte Hotel Palace umgebaut wird, schließe ich mich den beiden an und wir bestellen uns ein Taxi.
Benoit, der andere Franzose, ist schon vor einem Tag in Constanţa angekommen und kennt sich bereits in der Gastro-Szene bestens aus. Er war vorher kurze Zeit in Bukarest und will zusammen mit Antoine weiter nach Transsilvanien.
Wir gehen zu einer Wechselstube und ich bin erstaunt über die vielen Nullen auf den Geldscheinen, denn ein EUR entspricht etwa dem Gegenwert von 38.000 Lei. Nach dem Abendessen begeben wir uns in einen Irish Pub und trinken einige Gläser Wein zusammen.
Das Lokal ist mit über 10 Tenorhörnern und Baritonen an den Wänden "typisch irisch" geschmückt.
Unser Hotelrestaurant steht heute nicht zur Verfügung, geschlossene Gesellschaft wegen einer Hochzeitsfeier. Von der Terrasse draußen beobachte ich die Gäste und lausche der Musik.
Ein Junge von der Straße schleicht sich ans reichhaltige Buffet, schnappt sich eine Leckerei und flüchtet in die Nacht hinaus.
An der Rezeption erkundige ich mich nach Transportmöglichkeiten, denn als nächstes Ziel schwant mir Chisinau, die Hauptstadt von Moldawien. Angeblich gibt es keine direkten Verbindungen, aber von Tulcea, so berichtet man mir, ist es kein Problem, von dort kann man auch per Bus oder Schiff nach Odessa fahren. Auch Transsilvanien ist von dort, so hören wir, gut zu erreichen.
Mich stört es nicht, Tulcea liegt am Donau-Delta und ich hatte einen Besuch in Erwägung gezogen, die Franzosen wollen sich mir anschließen. Später lese ich im Busbahnhof, dass wöchentlich sehr wohl zwei Busse direkt nach Chisinau fahren.
Constanţa, mit 360.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Rumäniens, liegt direkt am Schwarzen Meer und ist wegen seines Hafens ein wichtiger Wirtschaftsstandort.
Das touristische Leben spielt sich in der Nähe des Ovid-Platzes auf einer kleinen Halbinsel ab. Hier findet man Museen, Kirchen verschiedener Konfessionen und direkt an der Uferpromenade das imposante Casino aus Marmor.
Einen wunderbaren Überblick hat man vom 50 m hohen Minarett der Großen Moschee.
Die Busfahrt nach Tulcea, ca. 120 km, kostet 120.000 Lei und ist wiederum sehr interessant. Wir kommen an vielen schönen Kirchen vorbei, beobachten die Bauern auf den Feldern, sehen viele Kühe, Schafe und Ziegen, Wein, Mais- und Sonnenblumenfelder.
Nach 90 Minuten sind wir da und versuchen gleich, im Busbahnhof die nötigen Informationen über die jeweilige Weiterfahrt zu erlangen. Aber weit gefehlt, meistens werden wir nicht verstanden und wenn, dann vermag man uns nicht weiterzuhelfen.
Wir checken im Hotel "Delta" ein und bestellen auch gleich für den selben Tag eine Bootsfahrt hinaus ins Donaudelta.
Beim Betreten des Zimmers wundere ich mich über die vielen Blumenarrangements, mir kann das doch nicht gelten. Wahrscheinlich hat ein Paar seine Hochzeitsnacht in diesen Betten verbracht, oder wurde jemand aufgebahrt? Ich gehe hinunter und erhalte einen Schlüssel für den Nebenraum.
Die Dame an der Rezeption ist uns sehr behilflich, informiert sich, telefoniert mit der Bahnhofsauskunft und muss uns letztendlich mitteilen, dass es keine Direktverbindung nach Moldawien, nach Odessa oder nach Transsilvanien gibt. Man sollte erst mal nach Galati fahren.....
Ich muss mich beherrschen, um nicht loszupoltern. Auf meinen Wunsch ruft sie im Bahnhof Galati an und erfährt, dass von dort eine Zugverbindung nach Chisinau nicht besteht, wohl aber von Bukarest.
Die Franzosen sind auch nicht schlauer geworden und gedenken, nun ebenfalls in die Hauptstadt zu fahren.
Eine übliche Bootsfahrt ins Delta dauert mindestens zwei Stunden, man empfiehlt uns, eine Stunde mehr zu investieren. Es ist sehr beschaulich, wir verlassen den Seitenarm der Donau und tuckern auf einem kleineren Kanal entlang, beobachten Angler, manchmal kommt uns ein Boot entgegen. Einige Male ist ein Fischreiher zu erkennen, Pferde und Kühe grasen am Ufer.
Es ist Sonntag und einige Männer haben tief ins Glas geschaut. Beim Abendessen beobachte ich, wie ein angetrunkener Gast einem bettelnden Mädchen Bier ins Gesicht schüttet und bin peinlich berührt.
Ansonsten treffe ich nur auf hilfsbereite und freundliche Menschen, was hatte ich nicht alles in den Reiseführern gelesen, Kleinkriminalität, Taschendiebstahl, Trickdiebe, Gruppen von Kindern und Jugendlichen, die speziell Touristen einkreisen, um sie zu berauben. Es mag dies alles zutreffen, ich habe aber zum Glück nichts davon gemerkt. Wohl aber gebe ich gern zu, dass die Gesellschaft der beiden Franzosen mein Sicherheitsgefühl auch verstärkt hat, es ist halt doch ein Unterschied, ob man zu dritt oder allein unterwegs ist.
Antoine befasst sich mit dem Export von Second Hand-Artikeln und hält sich beruflich häufig in Japan auf. Benoit ist im Weinvertrieb tätig und wird sich vielleicht in einigen Jahren selbständig machen.
Zusammen wollen wir am nächsten Tag den ersten Bus nach Bukarest nehmen. Leider verschlafe ich und bin somit auf den zweiten angewiesen. Es sind rund 300 Kilometer und man benötigt knapp fünf Stunden für die Strecke. Die Bauern stehen mit ihren Pferdewagen auf dem Feld und pflücken Maiskolben, andere schneiden die schon braunen Maishalme und stellen sie zum Trocknen auf. Auch hier wieder große Felder mit Wein und Sonnenblumen und endlose Weite.
Während der Pause frage ich den Busfahrer nach dem Nordbahnhof in Bukarest, leider versteht er kein Wort von mir. Mein Sitznachbar erklärt mir später, dass sich die Busstation in der Nähe des Bahnhofs befindet. Er spricht tadellos Englisch und wir führen eine angenehme Unterhaltung. Ich erzähle ihm die Erlebnisse der letzten Tage und, welch ein Zufall, er hat die Franzosen beim Fahrkartenkauf gesehen. Leider gab es für den ersten Bus nur noch ein Ticket und so haben sich meine früheren Gefährten entschlossen, von Tulcea nach Galati zu fahren. Vielleicht höre ich ja mal etwas von ihnen.
Es ist tatsächlich nicht weit zum Nordbahnhof und ich mache mich, da kein Taxi zu sehen ist, zu Fuß auf den Weg.
Das Bahnhofsgebäude imponiert mir, es ist großzügig, sauber, übersichtlich und hell. Der Besarabian Train fährt erst um 20.oo Uhr und mir bleibt genügend Zeit, eine Fahrkarte und Verpflegung zu kaufen und das restliche Geld in moldawische Währung umzutauschen.
Die nächste Stunde verbringe ich wartend und lesend bei Mc Donalds.
Auf dem Bahnsteig spricht mich Olga, eine hübsche junge Moldawierin an und wir unterhalten uns eine ganze Weile. Sie besucht die letzte Klasse in der Oberschule und möchte studieren, um später in Westeuropa zu arbeiten. Ihre Mutter ist auch dabei, sie ist seit einigen Monaten in Italien verheiratet, spricht aber leider kein Englisch.
Abends gehen wir gemeinsam in den Buffet-Wagen und trinken einige Dosen Bier zusammen. Wir unterhalten uns prächtig, doch irgendwann werden nur noch esoterische Themen angesprochen, mit denen ich nicht viel anfangen kann. Olga und ihre Mutter können gar nicht verstehen, dass ich für diese Thematik nicht zugänglich bin. Wir reden dann über andere Sachen, speziell über die Situation in Moldawien, und es wird doch noch ein sehr interessanter und harmonischer Abend.
In Moldawien, dem ehemaligen Besarabien, soll, so Olga, die Arbeitslosigkeit sehr hoch sein. Sie nennt keine Zahl, ist aber der Meinung, dass man nur etwas mit Beziehungen erreichen kann, es herrscht wohl große Vetternwirtschaft.
Das Abteil mit insgesamt vier Liegen teile ich mit einem Jugoslawen. Gegen 2.3o Uhr nähern wir uns der Grenze und müssen unsere Pässe abgeben. Auf der rumänischen Seite geht die Abfertigung rasch vonstatten, nicht so auf der moldawischen.
Mein Rucksack wird bis ins letzte Detail untersucht, alle Reißverschlüsse werden geöffnet, der Inhalt genauestens kontrolliert. Selbst meine am Leib befindlichen Wertsachen, Schecks und Banknoten, muss ich vorzeigen und exakt belegen.
Ein Visum hatte ich mir schon vor Monaten in Deutschland besorgt.
Irgendwann ist der Spuk dann aber doch vorbei, "Kommunista" meint mein Abteilnachbar, als wir wieder allein sind.
Im Grenzbahnhof werden die Wagen auf andere Fahrgestelle montiert. Die Gleise im Bereich der alten Sowjetunion sind breiter. Ein russischer Zar hatte dies vor langer Zeit aus strategischen Gründen angeordnet, es ist dem Feind deshalb nicht möglich, per Eisenbahn ins Land einzudringen.
Nach vier langen Stunden kann die Fahrt fortgesetzt werden.