Zur Jahreswende nach Wien
Meine Bonusmeilen drohten zu verfallen und so habe ich kurzfristig einen Flug nach Wien gebucht, hin direkt ab Hamburg, zurück via Stuttgart nach Bremen. Bisher hatte ich zweimal in der österreichischen Hauptstadt Silvester gefeiert, nämlich 1991 mit Elisabeth und 1996 mit Uwe – und an beide Reisen erinnere ich mich gern zurück.
Fast auf die Minute pünktlich landet der Airbus auf dem Flughafen Wien-Schwechat, mit der S-Bahn fahre ich dann zum Praterstern, mit der U2 zum Bahnhof Schottentor, dann noch zwei Stationen mit der Straßenbahn und schon ist das „Hotel Bleckmann“ in Sichtweite. Es liegt zentral in der Innenstadt und man kann die touristischen Highlights der Stadt, wie Hofburg, Rathaus oder Stephansdom, gut zu Fuß erreichen. Um trotzdem halbwegs mobil zu sein, erwerbe ich für 16,50 Euro ein 72-Stunden-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und diese Investition hat sich auch amortisiert.
Im Restaurant „Wickert“, es wird mir an der Hotelrezeption empfohlen, stärke ich mich mit einem Fiaker-Gulasch und ein paar Gläsern Blau-Fränkischen. Später wandere ich noch in das schöne alte Kaffeehaus „Weimar“, wo ein greiser Pianist seine ebenfalls in die Jahre gekommenen Gäste begeistert.
Am Silvestermorgen ist es kalt, sonnig und kalt, so minus drei Grad. Klares Winterwetter, wie man es sich zur Jahreswende vorstellt. In der Nähe des Hotels wurde im 19. Jahrhundert die Votivkirche errichtet. Eine Sühnekirche, gebaut, nachdem Kaiser Franz-Joseph I. ein Attentat überstanden hatte. Mit 99 Metern zweithöchstes Gotteshaus der österreichischen Hauptstadt gilt sie als eines der bedeutendsten neugotischen Sakralbauwerke der Welt, eingeweiht im Jahre 1879. Dieses Gebäude hatte ich bei den vorherigen Besuchen noch nicht besichtigt und bleibe deshalb geraume Zeit in dem von mehreren Kapellen dominierten Gebäude. Auch der Hochaltar wird mir nachhaltig in Erinnerung bleiben.
Beim Weitergehen staune ich über die wartende Menschenmenge vor dem Central Cafe. Und dann ist auch schon die Hofburg erreicht, über 600 Jahre lang Residenz der österreichischen Herrscher. Wien scheint auch anderen Reisenden als Silvesterziel zu gefallen, denn ich bin nur noch von Besucherscharen umgeben, hier eine Gruppe, der die Sehenswürdigkeiten in englischer Sprache erklärt wird, dort eine Führung auf Spanisch, etwas weiter wird eine italienische Reisegesellschaft informiert. Die zahlreichen Fiaker haben Hochkonjunktur und scheinen besonders bei asiatischen Gästen sehr beliebt zu sein. Eine riesige Schlange wartet vor dem Sissy-Museum in der Hofburg auf Einlass, auch die Spanische Hofreitschule erlebt einen Besucherboom.
Am Naturhistorischen Museum vorbei flüchte ich zum eindrucksvollen Parlament mit der bekannten, von der Weisheitsgöttin Pallas Athene geschmückten Hauptrampe und spaziere dann zum Rathaus. Dieser neugotische Prunkbau mit dem fast 100 Meter hohen Turm und seinen Spitzbogenfenstern und Balkonen wird heute von einem großen Zaun geschützt. Interessiert verfolge ich den Soundcheck einer Band auf einer großen Bühne, sie scheint Elton John zu covern und wird vom Wiener Radio unterstützt. Ihr Auftritt beginnt gegen 20:00 Uhr und bestimmt werde ich wieder vorbeischauen.
Gegenüber dem Rathaus befindet sich das Burgtheater, hier hatten wir uns 1991 das Stück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ mit Elisabeth Trissenaar und Klaus Maria Brandauer in den Hauptrollen angesehen. Der so genannte Silvesterpfad ist auch in diesem Jahr wieder angelegt und gegen Mittag halten schon viele Passanten mit einem Glas Glühwein in der Hand eine Pause ein. Auch am Graben bei der Pension Nossek, wo wir damals gewohnt hatten, ist eine große Theke aufgebaut, die Pestsäule immer in Sichtweite. Und dann ist der Stephansdom, von den Wienern „Steffi“ genannt, auch schon erreicht.
Dieses Wahrzeichen der Stadt, bedeutendstes gotisches Bauwerk Österreichs, hat seinen Ursprung im 12. Jahrhundert. Unverkennbar ist das Dach mit dem Zickzackmuster in zehn Farbtönen. Einzigartige Kunstschätze sind im Innenraum zu bewundern, so u.a. die von Pilgram erbaute Kanzel und der Altar aus dem Jahre 1447. Zahlreiche Habsburger Herrscher wurden hier beigesetzt. Gut, dass ich bei vorherigen Besuchen Zeit und Muße für eine ausgiebige Besichtigung hatte – denn heute ist es unmöglich ob der nicht enden wollenden Menschenmenge vor dem Eingang bzw. auf dem gesamten Vorplatz.
Dann ist es Zeit für eine kleine Erholungspause. Auf dem Weg zurück zum Hotel passiere ich noch das Palais Alberta und die Oper. Vor dem Mozart Cafe hat sich eine lange Schlange gebildet, deshalb wandere ich weiter zu einem Kaffeehaus in Hotelnähe, bestelle mir einen großen Schwarzen und eine Kleinigkeit zu essen.
Nun ist der Silvesterabend angebrochen. In einem typischen Restaurant mit regionalen Spezialitäten und österreichischen Weinen stärke ich mich zunächst. Und dann geht es den Silvesterpfad entlang, der meines Erachtens professioneller organisiert ist als vor 15 Jahren. An verschiedenen Plätzen wurden große Bühnen aufgebaut und ich wandere von einer zur anderen und höre mir die wirklich hervorragende Lifemusik an, natürlich auch vor dem Rathaus. Die schon vorgestellte Band spielt perfekt, erzeugt eine wunderbare Stimmung und die Menge tobt. Aber auch an anderer Stelle bin ich begeistert, so von den Musikern mit südamerikanischer Folklore im Repertoire und der dann folgenden Salsa-Band. Punkt 24:00 Uhr wünscht der Moderator ein frohes neues Jahr, aus den Lautsprechern ertönt „An der schönen blauen Donau“ und die Gäste begrüßen das Jahr 2017 im Walzertakt. Da es nun doch bitter kalt geworden ist, suche ich mir einen freien Platz in einem Gasthaus und unterhalte mich eine ganze Weile mit zwei Männern aus der Steiermark. Sie sind nach Wien gereist, um hier Silvester zu feiern.
Am Neujahrsmorgen sehe ich mir das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker an – im Fernsehen, nicht im Theater. Dann spaziere ich durch den Prater und fahre im Anschluss daran mit der Tram, wie die Straßenbahn in Österreich gern genannt wird, zum Hundertwasserhaus. Es handelt sich um eine kommunale Wohnanlage und ein Schild bittet die Besucher, den Trakt nur von außen zu besichtigen. Dieses außergewöhnliche Gebäude besticht durch seine bunten Farben und den krummen Wände und Böden. Auf Dächer und Balkone wurden zahlreiche Bäume und Büsche gepflanzt. Was für ein skurriles interessantes Bauwerk.
Wiederum mit der Straßenbahn begebe ich mich nun in den Norden der Stadt, nach Grinzing, um den ersten Abend im neuen Jahr in einem der hier häufig anzutreffenden Heurigenlokale zu verbringen. Die Linie 8 hält direkt im Zentrum. Eine freundliche ältere Dame empfiehlt mir zwei Lokale, die vorwiegend auch von Einheimischen besucht werden. Das erste hat geschlossen, also wandere ich weiter und kehre schließlich im „Kronprinz Rudolfshof“ ein. Natürlich bestelle ich mir zunächst ein Glas Heurigen, aber der Jungwein sagt mir nicht besonders zu und deshalb wechsele ich zu einem älteren Jahrgang. Rustikale Speisen sind auf der Karte zu finden und so bleibe ich hier auch zum Abendessen.
Am nächsten Morgen hat sich vor dem Fahrkartenschalter für die S-Bahn zum Flughafen eine lange Schlange gebildet und viele Gäste haben Probleme mit der Bedienung. Irgendwie ergibt es sich, dass ich mir ein Ticket mit einer jungen Frau aus Hongkong teile, die auf dem Weg zurück in ihre Heimat ist. Es ist lausig kalt und unser Flugzeug wird vor dem Start in Schwechat mit einem speziellen Gemisch enteist. Dann beginnt der Heimflug. Mal sehen, was das neue Jahr so bringen wird …