Von Lima nach Rio
Bolivien
Der Bus nach La Paz startet pünktlich um 8.oo h und erreicht gegen Mittag die bolivianische Grenzstadt Copacabana. Wir müssen in einen anderen Bus umsteigen und haben nachmittags eine herrliche Fahrt am See entlang. Der Blick auf den Lago Titicaca und auf einige schneebedeckte Sechstausender ist phantastisch.
Gegen Abend muss ein Teil des Sees mit einer Fähre überquert werden. Wir sehen viele Lamas, Schafe, Esel und Rinder.
Im Bus sind einige Deutsche, ein Paar hatte ich schon in Machu Picchu gesehen. Sie wohnen in Brasilien und ich erhalte einige wertvolle Tipps für meine Weiterfahrt.
Dem anderen deutschen Paar wurde in Juliaca ein Rucksack mit Geschenken gestohlen.
Bolivien erscheint mir preisgünstiger, wesentlich angenehmer, lockerer und fröhlicher. Endlich hat man wieder ein kleines Verhältnis zur Währung, für vier Mio. peruanische Intis erhalte ich den Gegenwert von 20 Bolivianos.
Zwei Italienerinnen im Bus empfehlen das Hotel "Torino" in La Paz, zusammen mit Gerhard, einem Österreicher, den ich ebenfalls im Bus kennengelernt habe, nehme ich ein Zimmer für 10 Bol./Person, etwa 3 USD.
Die Stadt liegt gut 3.600 m ü. M. in einem Talkessel, die Armenviertel liegen noch 400 m höher im Alto.
Wir verbringen einen schönen Abend in der höchsten Hauptstadt der Welt und besuchen einige Lokale. In einer Gaststätte wird an fast allen Tischen gewürfelt, in einer anderen spielt eine Folkloreband mit ihren typischen Instrumenten wie Flöte, Gitarre und Charanga, einem Saiteninstrument, dessen Korpus aus Gürteltierpanzer hergestellt wurde. Am nächsten Tag setzen wir die Stadtbesichtigung fort. In der Kathedrale findet gerade eine Trauung statt und wir verweilen einige Momente. Von einer bestimmten Stelle kann man bei klarer Sicht einen über 6.000 m hohen Berg sehen. Auf dem Wochenmarkt kaufe ich einen Beutel Kokablätter, sie sind in Bolivien legal und das Kauen, so habe ich gelesen, soll keinen Rausch erzeugen, aber wie Kaffee stimulieren. Ich kaue und kaue, merke aber keine Reaktion.
Ansichtskarten und Briefmarken sind günstiger als in Peru. Eine Frau spricht mich an, sie hatte uns beobachtet und gemerkt, dass wir uns in deutscher Sprache unterhalten. Sie bittet mich, einen Brief mit nach Bremen zu nehmen und gibt mir ihre Telefonnummer, damit wir die Briefübergabe besprechen können.
Obwohl mir einige Zweifel kommen, warum dieser Brief nicht mit der Post geschickt werden soll, rufe ich später die Nummer an und bin froh, dass niemand ans Telefon geht.
Im Busterminal lernen wir die hübsche Cecilia kennen. Sie ist Buchhalterin in einer landwirtschaftlichen Genossenschaft im Norden Boliviens. Cecilia ist Gerhard beim Kauf eines Bustickets nach Sucre behilflich, sie selber will mit dem nächsten Bus nach Santa Cruz.
Ihre Großmutter wohnt dort, außerdem findet in den nächsten Tagen ein Fußballspiel statt, das sie auf keinen Fall verpassen möchte.
Schade, Santa Cruz ist auch mein nächstes Ziel, aber zuvor möchte ich noch etwas von La Paz sehen. Cecilia gibt mir eine Telefonnummer, unter der ich sie in einigen Tagen erreichen kann, und ich verspreche, sie sofort anzurufen.
Im Terminal ist hektisches Treiben, bei den alten Dodge-Bussen werden die Türen noch mit einer Kurbel aufgedreht.
Die Busfahrt nach Santa Cruz dauert und dauert. Ich sitze neben einer korpulenten Dame, die den meisten Platz für sich benötigt und kann nicht einschlafen. Es wird ein Video gezeigt.
In Cochabamba steigen wir in einen anderen Bus um, danach habe ich wieder mehr Platz und genieße die Fahrt sehr. Es geht durch den Urwald, durch Wolken, vorbei an Bananen- und Aprikosenplantagen, überflutete Sandwege lassen uns manchmal nur langsam vorankommen. Die Hütten sind mit Blättern oder Matacu-Stauden gedeckt, einmal überqueren wir den Rio Grande.
Als ich meinen Nebenmann nach einem günstigen Hotel in Santa Cruz frage, kommen sofort an die zehn Mitreisenden, um mir Informationen zu geben. Eine Bolivianerin, die jetzt in Australien wohnt, hat zufälligerweise eine Visitenkarte des Hotel "La Siesta" bei sich und ich entschließe mich, hier die nächsten Nächte zu verbringen. Kreditkarten werden akzeptiert.
Das Zimmer ist mit Toilette, Dusche und Fernseher ausgestattet und es verfügt über einen Ventilator, den ich wegen der schwülen Hitze gar nicht mehr ausstelle. In La Paz zeigte das Thermometer 16 Grad an, hier ist es mehr als doppelt so heiß.
Santa Cruz ist eine moderne elegante und pulsierende Stadt, auffallend viele Uhren- und Schmuckgeschäfte sind in der Innenstadt anzutreffen. Die Bewohner sind modisch gekleidet. Drogengeschäfte haben die Stadt reich gemacht, Santa Cruz gilt als die Drogenhochburg des Landes.
Im Bahnhof möchte ich mich über den Weitertransport nach Brasilien erkundigen, es fahren aber keine Züge mehr und die Schalter sind nicht besetzt, weitere Infos mañana.
Cecilia ist noch in der Stadt, sie holt mich pünktlich mit der für Südamerika obligatorischen Verspätung ab und wir fahren auf ihren Wunsch hin zunächst in den Zoo.
Was kann man da nicht alles sehen: Kondore, ein Vogel dieser Art spreizt sogar einmal exklusiv für uns die Flügel, Tapire, Ameisenbären, Schildkröten (davon zwei beim Geschlechtsverkehr), Affen, alle Arten von Lamas, Pumas, Leoparden, Schlangen, farbenprächtige Vögel und, und, und. Meine Begleiterin kennt sich sehr gut aus und ich erfahre viel über die einheimische Tierwelt. Sie hat auch schon viel über Deutschland gehört und schwärmt für Pierre Litbarski.
Später fahren wir zum Abendessen in einen Park am Fluss, es gibt Rindfleisch mit Yukagemüse. Es wäre ein romantischer Ort, wären da nicht die vielen Moskitos.
Zum Abschluss des schönen Tages besuchen wir auf Wunsch von Cecilia noch ein Fußballspiel. Real Santa Cruz gewinnt 5 : 2 gegen Blooming. Sitzkissen, das heißt zusammengebundene Zeitungen, können für wenig Geld angemietet werden.
Cecilia ist sehr nationalbewusst und bemüht, mir ihr Land näher zu bringen. Sie erklärt und erzählt mir vieles, was in Reiseführern nicht steht und in Reisemagazinen nicht nachzulesen ist. Auf allen Titelseiten der Zeitungen prangt heute das Wort "guerra", Krieg, und meine Begleiterin bittet mich, mit ihr auf den letzten Tag des Friedens anzustoßen. Morgen beginnt der Golfkrieg.
Jetzt, Ende Januar/Anfang Februar 2003, beim Aufschreiben dieser Reiseerinnerungen, ist die Situation ähnlich, sogar die Namen der jeweiligen US-Präsidenten sind identisch.
Den letzten Nachmittag in Santa Cruz verbringe ich ruhig. Im Zentrum beobachte ich eine Prozession, verstehe aber den Sinn nicht, hängt es vielleicht mit dem Krieg zusammen? Die Menschen haben Fähnchen in der Hand, es werden Reden gehalten und Kränze niedergelegt, ein Trompeter spielt.
Man kann das nachmittägliche Treiben gemütlich beobachten, niemand stört, kein Vergleich zu Peru. Bolivianer feiern und tanzen gern, so Cecilia, besonders im Karneval, einige Kriege wurden deshalb vom Gegner gerade in dieser Zeit, wo man unachtsam ist und sich der Freude hingibt, begonnen.
Auf der Plaza 24 de septiembre treffe ich einen deutschsprechenden Mann wieder, vermutlich Europäer, er meint, dieser Platz sei "das Gepflegteste, was Südamerika hat".
Nun heißt es Abschied nehmen von Bolivien. Gegen Abend besteige ich den Ferrobus (Schienenbus), der zum Grenzort Quijarro fährt
Noch vor der Abfahrt weist sich ein Mann aus und herrscht mich an: You took cocain, look at your eyes, look at your tongue! Mein Adrenalinspiegel steigt, ich fange an zu schwitzen. Mit Sicherheit weiß ich, dass ich keine Drogen genommen habe, aber was ist mit den Kokablättern? Mir wird ganz mulmig und widerstrebend füge ich mich der Anweisung des Mannes und folge ihm auf die Zugtoilette.
Dort, eine Hand an der Tür und eine Hand am Fenster, muss ich mich ausziehen. Der Mann guckt und prüft, findet natürlich meine Geld- und Werttasche, die ich unter der Bekleidung trage, öffnet sie und prüft den Inhalt, nicht einmal sondern mehrere Male. Mir kommen die übelsten Gedanken, was ist, wenn er mir ein Päckchen Rauschgift unterjubelt? Habe ich genügend Geld, um mich auszulösen, kann ich die Fahrt fortsetzen, muss ich bei der Botschaft um Hilfe nachfragen?
Irgendwann lässt der Mann von mir ab und gebietet mir, wieder an den Platz zu gehen. Jetzt erst merke ich, dass mein Körper total verschwitzt ist. Ich ziehe mich an und gehe ins Abteil zurück.
Die Fahrt ist sehr angenehm und interessant, es werden Getränke, Sandwiches und andere Speisen gereicht. Die Leibesvisitation versuche ich gedanklich zu verdrängen. Einige Züge kommen uns entgegen, die Menschen stehen in den Waggons, auf den Trittbrettern oder auf dem Dach, Sitzplätze gibt es nicht. Am frühen Morgen erreichen wir Quijarro, mit einem Taxi fahre ich zur Grenze und besorge mir den Ausreisestempel.